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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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entdeckte er. Und nahe dem Bierfass einen kleinen barfüßigen Kerl, der gerade einen dicken Mann im nachtblauen Samtrock und Sonntagsperücke mit flinken Fingern um ein Spitzentaschentuch erleichterte. Seine Börse barg hier jeder, der kein Dummkopf war, unter dem Hemd. Das Taschentuch würde dem Knirps immerhin einige warme Mahlzeiten einbringen. Nicht dass John Webber die Taschendieberei für richtig hielt, aber sie zeugte immerhin von einem gewissen Unternehmungsgeist und fleißig geübter Geschicklichkeit.
    Es gab viele solcher Kampf-Arenen in London und in Southwark am südlichen Themseufer. In manchen, groß wie Amphietheater, fanden auch größere Kämpfe statt, besonders zwischen Bären oder Stieren und Hunden.Dort hatte er einmal erlebt, wie drei Hunde einen veritablen Stier anfielen und töteten. Einen der Angreifer allerdings, ein stämmiges schwarzes Tier mit der Gewandtheit eines Tigers, hatten zuvor die Hörner des Stieres tödlich verletzt über die Brüstung geschleudert. Der Kampf hatte ihm nicht gefallen. So ein großes Stück Vieh, das zudem noch gute Arbeit leisten könnte, hatte doch schon fast etwas Menschliches. Er zog diese kleine Arena in der alten Scheune vor. Auch die Teiche, auf denen ihre Besitzer Enten aussetzten, um sie von ihrer Meute jagen zu lassen, störten ihn nicht. Aber Hähne, Hunde, Ratten, das war am meisten nach seinem Geschmack. Im Übrigen trug dieser Ort nicht unerheblich zum satten Gewinn seiner Geschäfte bei, obwohl er darüber selbstverständlich niemals redete.
    Um die Arena und auf der Galerie wurden die Wetten für den letzten Kampf angenommen, die Stimmen klangen nun wie ein Schwarm aufgeregter Hornissen zu ihm herauf. Während noch die Schankmädchen mit schweren Krügen voll Gin und Bier durch die Menge drängten und geleerte Becher auffüllten, wurde der erste Hund durch eine Klappe in der Brüstung in die Arena geführt, ein kraftstrotzender goldbrauner Mastiff, und das Johlen begann von neuem. Webber kannte freundliche Exemplare dieser Rasse, um jedoch dieses zum Kämpfen dressierte Tier an dem breiten Lederriemen um seinen Hals zu halten, waren zwei Männer nötig. Es witterte das Blut der vorigen Kämpfe, Speichel troff unter den hochgezogenen Lefzen aus seinem Maul. Nun erschien der andere Kämpfer, ebenfalls ein Mastiff, nur von silbergrauer Farbe, auch er von zwei Männern gehalten. Ein tiefes Grollen kroch aus seiner Kehle, die Lederriemen fielen und die vierMänner brachten sich mit einem Sprung über die Brüstung in Sicherheit.
    Die Hunde waren geübte Kämpfer, beide, das hatte Daniels versichert, waren nie zuvor besiegt worden. Woran niemand zweifelte, Niederlage bedeutet in diesen Kämpfen fast immer den Tod. Wieder schwoll der Lärm zum Crescendo an, die anfeuernden Stimmen der Zuschauer mischten sich mit dem Knurren, Aufjaulen und tiefen Gebell der Tiere, schon bluteten beide, lahmte der erste, da wurde Webbers Aufmerksamkeit abgelenkt. Neben dem Schanktisch in der Ecke am Tor, dort, wo das Seil seines Korbes an einem starken eisernen Haken festgemacht war, begann eine lautstarke Prügelei. Es war eine dunkle Ecke, er reckte den Hals, um besser sehen zu können, und gerade als er glaubte, in einem der Kontrahenten den älteren von Daniels’ Söhnen zu erkennen, ging ein Ruck durch seinen Korb. Er hatte keine Zeit mehr nachzudenken. Das Seil gab nach, schwer wie Blei raste er mit dem Korb hinunter in die Arena, und die Hunde, eben noch fest ineinander verbissen, stürzten sich gemeinsam auf den neuen Feind.
    ***
    Lady Florence Wickenham balancierte ihre Tasse nun schon geschlagene zehn Minuten auf der linken Hand, Daumen und Zeigefinger der rechten hielten den Henkel, beinahe ohne ihn zu berühren. Sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl, die Augen fest auf die Schokolade in der Tasse gerichtet, als sei die zähe Haut, die sich auf der Oberfläche gebildet hatte, ein interessantes Studienobjekt. Sie würde die Schokolade nicht mehr trinken können,sie hasste Haut auf Milchgetränken, seit ihre Gouvernante sie gezwungen hatte, sie mit dem Löffel abzuheben und hinunterzuschlucken. Das war beinahe zwanzig Jahre her, doch die Erinnerung an die so zierliche wie boshafte Französin war ihr geblieben. Wie ein Stein in ihrem ansonsten unerschütterlichen Magen.
    Die ganze Lady Wickenham wirkte unerschütterlich: Ihr Gesicht mit den großen grauen Augen, deren Ausdruck nie sicher zu deuten war, die gerade, von der Sonne undamenhaft gerötete Nase, ihre

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