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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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anfangen. Deine Redingote sieht teuer aus, wenigstens das,aber bitte, Florence, du bist nicht die Frau eines Pfarrers. Und deine Zofe versteht sich ganz offensichtlich nicht aufs richtige Schnüren. Du hast eine zarte Taille, wenn auch   …»
    «Mutter, bitte. Ich glaube nicht, dass Mrs.   Kjellerup sich für die Maße meiner Taille interessiert.»
    Augusta blickte auf die Platten mit dünnen gebutterten Weißbrotscheiben und süßen Muffins und – einzig als Zugeständnis an die Gewohnheiten der rundlichen, mit einem gesunden Appetit gesegneten Besucherin – die Teller mit gebratenen Eiern und Schinken und nippte lächelnd an ihrem Tee.
    Mrs.   Cutler parierte den Tadel ihrer Tochter mit Grandezza. «Mrs.   Kjellerup», sagte sie, «gehört so gut wie zur Familie, ich kenne sie sogar länger als dich. Was sagst du zu Florence’ Kleid, Augusta? Lass uns dein gefürchtet unbestechliches Urteil hören.»
    Augusta Kjellerup fand die Krittelei ihrer alten Freundin aus Kopenhagener Zeiten tatsächlich nicht sehr erbaulich, und während sie Florence’ Geduld bewunderte, hatte sie ihren Blick durch den Salon wandern lassen, in dem die Damen heute frühstückten. Die Morgensonne fiel durch zwei hohe Fenster auf den goldgerahmten Spiegel über dem Kamin aus weißem Marmor, den Augusta äußerst elegant, jedoch wegen des Rußes sehr unpraktisch fand. Allerdings passte er mit seinen Pilastern hübsch zu den mit schwerem, grün gestreiftem Kattun bezogenen Stühlen und kleinen Sofas. Auf dem schmalen Bücherschrank im chinesischen Stil hatte Frederick Cutler bestanden. Bücher, hatte er gesagt, seien immer gut in einem Salon, falls die Gäste sich mal langweilten, womit immer zu rechnen sei. Da seine Frau sehr wohlwusste, dass er damit zuerst sich selbst meinte, hatte sie bereitwillig nachgegeben.
    «Ich finde deine Tochter sehr elegant», urteilte Augusta großzügig. «Allerdings finde ich auch», wandte sie sich mit aufmunterndem Lächeln an Florence, «dass Ihr Euch ein wenig heiterer kleiden könntet. Ihr seid so jung, für die grauen Farben habt Ihr später noch viele Jahre Zeit.» Dabei strich sie sanft über ihren blassgrünen, mit silbrigen Litzen besetzten Rock und dachte an ihre Pantöffelchen aus tannengrünem Atlas. «Um Eure Taille», schloss sie, «würde ich mir keine Sorgen machen. Sie ist schmal genug. Diese übermäßige Schnürerei ist einfach zu lästig und», nun wandte sie sich wieder ihrer Freundin Cilly zu, «aus der Mode. Jedenfalls für den hellen Vormittag.»
    Mrs.   Cutler holte Luft, um entschieden zu protestieren, doch ein dezentes Klopfen und das gleich darauf folgende Geräusch der Tür unterbrachen sie.
    «Madam.» Der Butler trat in den Raum, und wie schon bei ihrer Ankunft war Augusta fasziniert. Joseph war ein Mann von Anfang vierzig, hoch gewachsen und immer noch schlank. Nur die etwas weichen Züge um Mund und Wangen zeigten, dass für ihn das Altern und damit die Zeit der fülligeren Konturen begonnen hatte. Seine Haltung war königlich. Nicht das winzigste Stäubchen seiner stets frisch gepuderten Perücke lag auf seinem Kragen. Während die Hausdiener in rote Livreen gekleidet waren, trug er als Zeichen seiner Würde einen schwarzen Rock. Die schwarze Kniehose aus Satin über makellosen Seidenstrümpfen, sein schmales Gesicht, all das erinnerte Augusta an einen schwarzen Storch. Gestern hatte sie sich dabei ertappt, wie sie ihn anstarrte, nur um zu sehen,ob er in der Lage sei, seine Miene zu einer menschlichen Regung zu verziehen.
    Cilly hatte nicht verstanden, dass sie sich über Joseph amüsiert hatte. Er sei genau das, was man in einem guten Haus von einem Butler erwarte, hatte sie gesagt, klein und kugelig gehe nun mal nicht an. Ob denn die Butler in Hamburg anders seien?
    Augusta hatte an Blohm gedacht, den knurrigen alten Diener ihres Neffen und Herrn des großen Handelshauses Herrmanns, und diskret das Thema gewechselt. Auch Cilly stammte aus einer deutschen Kaufmannsfamilie, sie war in Hannover geboren und in Kopenhagen aufgewachsen. Den größeren Teil ihres Lebens hatte sie jedoch als Mrs.   Cutler in London gelebt. Während dieser dreißig Jahre war sie nie mehr auf den Kontinent oder auf die dänischen Inseln zurückgekehrt und hielt es für selbstverständlich, dass große Häuser wie ihres überall auf der Welt auf die englische Weise geführt wurden. Das Herrmanns’sche Haus, dachte Augusta und betrachtete amüsiert die unbewegt würdige Miene des Butlers,

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