Die englische Episode
müsste ihr recht bäuerlich erscheinen.
«Was ist das, Joseph?» Mrs. Cutler erhob sich und betrachtete neugierig das Paket in den Armen des Butlers.
«Die neuen Gardinen, Madam», sagte er. «Ein Bote hat sie gerade gebracht.»
«Ist es schon so spät? Wo ist Mr. Webber? Warum führen Sie ihn nicht herein? Ich habe doch gesagt, dass ich ihn sprechen will, damit er nichts falsch macht. Holen Sie ihn.»
«Das ist leider nicht möglich, Madam.» Joseph senkte hüstelnd die Lider. «Mr. Webber», ein zweites, um eine Nuance lauteres Hüsteln folgte, «Mr. Webber ist in derletzten Nacht verschieden. Ein bedauerlicher Unfall. Mit einem Hund, sagt der Bote. Miss Webber lässt deshalb ausrichten, Mr. Webber könne die Gardinen nicht aufhängen, Madame möge selbst dafür sorgen.»
Augusta triumphierte: Josephs Gesicht verzog sich ob dieser Frechheit einer Tuchhändlerstochter missbilligend.
«Was heißt ‹selbst dafür sorgen›?» Mrs. Cutlers zarte Gestalt spannte sich wie die Sehne eines Bogens. «Er hatte den Auftrag, die Gardinen zu nähen und aufzuhängen. Mit diesem neuen Dienst wirbt er für sein Haus, sonst hätte ich doch die Stoffe wie immer bei Smitton bestellt. Wenn er nicht kommen kann, muss er eben jemand anderen schicken.»
«Das sei leider auch nicht möglich, sagt der Bote. Das Haus ist wegen des Trauerfalls geschlossen.»
«Mama», mischte sich nun Florence sanft ein, «Mr. Webber kann niemanden schicken, denn er ist tot. Findest du nicht, dass deine Gardinen dagegen ein sehr kleines Problem sind? Sicher wird Miss Webber in der nächsten Woche jemanden …»
«Aber das ist zu spät, Florence. Natürlich ist es tragisch, der arme Mr. Webber. Ein Hund, sagen Sie, Joseph? Ist ihm einer vor den Wagen gelaufen? Dann muss es ein riesiges Tier gewesen sein, wirklich bedauerlich, aber die Gardinen müssen unbedingt
früher
angebracht werden, am besten heute, damit sie sich noch aushängen können. Was sollen die Gäste denken, wenn sie diese sehen? Dass wir bankrott sind?»
Sie griff mit beiden Händen in einen der Vorhänge aus kühn gemusterter, mit einer Goldbordüre eingefasster mattgrüner Seide, die seitlich gerafft von der Decke biszum Boden an den beiden Fenstern hingen, und hielt den kostbaren Stoff anklagend in die Höhe. Florence und Augusta sahen sich ratlos an. Der Stoff schien makellos.
«Hier!» Cilly drückte den Zeigefinger auf eine feine Spur von gezogenen Fäden, «das waren die verflixten Katzen! Was soll Mr. Bach von uns halten? Zerfetzte Gardinen im Salon!»
Joseph zuckte zusammen. Er wusste, wie lange Mrs. Cutler um den berühmten Gast gebuhlt hatte. Und er fühlte sich schuldig. Das Revier der beiden häuslichen Mäusefänger beschränkte sich strikt auf das Souterrain und den hinteren Garten. Vor einer Woche war es ihnen jedoch gelungen, die Küchentreppe hinauf in den Salon zu schleichen. Leider hatten sie sich dort zu einer kleinen Hetzjagd entschlossen, die die Gardinen des linken Fensters einschloss.
Florence kannte ihre Mutter. Sie wirkte zart, aber sie würde nicht aufgeben. Entschlossen griff sie nach dem Paket, legte es auf den Tisch und löste die Verpackung.
«Alles da», murmelte sie und nickte zufrieden. «Joseph», rief sie, «bringen Sie einen Hammer und eine Leiter.»
Was nun folgte, war ein noch größerer Skandal als die Sache mit den Katzen und eilte als schönster Klatsch des Tages in Windeseile von Küchenfenster zu Küchenfenster, von dort in die Salons und Ankleidezimmer und weiter in die Kaffeehäuser. Abends hatte sich bis in die City herumgesprochen, dass Lady Wickenham im Hause ihrer Eltern und vor den Augen des Butlers auf eine Leiter gestiegen war und eigenhändig neue Gardinen angebracht hatte.
«Ach Kind», seufzte Mrs. Cutler, als Florence die letzte Stoffbahn zu befestigen begann, «wann hörst du endlich auf, so exzentrisch zu sein? Wozu haben wir dich nur mit einem Lord verheiratet?»
«Verkauft», murmelte Florence auf ihrer Leiter, aber das hörte niemand. Außer, vielleicht, ihr Ehemann, der in diesem Augenblick den Salon betrat und verblüfft die Leiter hinaufsah. Lord Wickenham war nicht von strahlender, aber doch von beachtlicher Schönheit und einer natürlichen Eleganz, die nicht in einer Generation erreicht wird. Niemand in London würde etwas anderes behaupten. Die zahlreichen Nächte, die er nicht in seinem Zuhause, sondern mit Freunden in den Theatern, Kaffeehäusern oder anderen, ähnlich
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