Die englische Episode
eindeutig. Heidnischer Aberglaube ist es, sie für von Gott versenkten Erdschmuck oder gar für seine Donnerkeile zu halten. Dann sollte man sie zumindest nicht respektlos zu Pulver mahlen und den Pferden als göttliches Mittel gegen Würmer in ihren Hafer streuen.»
Mr. Gothat fand die Erwähnung von Würmern äußerst unappetitlich, besonders so kurz vor dem Essen, und überhörte sie. Das Problem der göttlichen Zeitrechnung war ihm nicht neu, er hatte selbst darüber nachgedacht und gestand zu, das Argument habe etwas für sich.
«Dennoch», seine Stimme klang zu Cillys Erleichterung um eine Nuance milder, «ich habe mich den neuen Wissenschaften nie verschlossen, darum halte ich es für durchaus einleuchtend, dass diese – wie nanntet Ihr sie?– egal, dass diese Dinger die Überreste von Tieren sind, die bei der Sintflut starben, verschüttet wurden und erhärteten. Und nun wäscht das Meer sie an den Küsten wieder heraus.»
Dagenskøld neigte abwägend den Kopf. «Gewiss», sagte er, «das Meer. Meine Heimat hat wie die Eure zahlreiche Meilen stürmischer Gestade. Ich bin hin und wieder an der Küste von Kent oder Sussex, dort findet manbei Ebbe immer wieder solche Steine am Strand, zumeist wie Schnecken, aber auch auf vielfältige andere Weise geformt. Ein Freund von mir besitzt eine versteinerte Meeresmuschel, die er selbst in den Bergen bei Avignon gefunden hat. Eine Muschel in den Bergen, das ist doch bedenkenswert. Vor allem aber: Wenn die Fossilien, egal ob an den Küsten oder weit im Land, nun versteinerte Tiere oder Reste von ihnen sind, und daran besteht kein Zweifel mehr, wieso gleichen sie keinen, die jetzt hier leben? Das ist doch ganz besonders seltsam.»
«Papperlapapp», sagte Mr. Gothat, weil ihm leider kein besseres Argument einfiel. «Ich hoffe sehr, Ihr gehört nicht zu diesen Ketzern, die neuerdings behaupten, Gottes Werk sei nur ein Anfang gewesen und habe sich seitdem verändert. Die Schöpfung war und bleibt vollkommen, alles andere ist Unsinn. Das beweisen doch schon wir Menschen. Ihr könnt nicht bestreiten, dass wir immer noch die Gleichen sind wie Adam und Eva. Von Gestalt und von Sündhaftigkeit. Wenn nun …»
Glücklicherweise trafen just in diesem Moment die Ehrengäste ein, und das Gespräch am Rande stürmischer Gewässer musste beendet werden. Mr. Bach, gefeierter Kompositeur und Musikmeister des Königs, wurde vom Kammermusikus der Königin, Mr. Abel, begleitet. Der war ein umjubelter Meister auf der Gambe und ein Freund Bachs seit Kindertagen, beide teilten sich eine Wohnung in der Meard’s Street und veranstalteten gemeinsam öffentliche Konzerte, eine Neuheit, die niemand, der auf sich hielt, versäumte. Zu Cillys Beruhigung war Mr. Abel völlig nüchtern. Natürlich hatte sie nie geglaubt, was man hinter den Fächern seit einiger Zeit raunte, aber manwusste ja nie, und die brisante Debatte am Kamin reichte für den Anfang völlig.
Endlich wurde die große Flügeltür zum Speisesaal geöffnet und zu Tisch gebeten.
Während Cilly an Mr. Bachs Arm zu ihrem Platz am Kopf der Tafel schritt, konnte sie sich ganz dem Stolz über den berühmten Gast hingeben. Auch wenn der junge Dagenskøld von seiner soeben erst beendeten
Grand Tour
seltsame Gedanken mitgebracht hatte, wirkte Professor Gothat nicht im Mindesten übellaunig. Er war wie Williams überraschende drei Gäste und Augustas junge Freundin zum ersten Mal Gast in ihrem Haus, alle anderen waren ihr seit langem vertraut. Doch auch diese vier sahen manierlich und nach einer guten Erziehung aus, von ihnen war gewiss keine unangenehme Überraschung zu erwarten. Cilly liebte Skandale – aber nicht in ihrem Haus.
Im Speisesaal glitzerten Silber und Kristall im Schein zahlloser Kerzen um die Wette. Leider unterlag der zarte Duft des Flieders der Übermacht der aromatischen Gerüche von den kunstvoll angerichteten Speisen, die auf der langen Tafel auf die Gäste warteten. Während des ersten Ganges plätscherten die Gespräche belanglos dahin, er diente zuallererst der Befriedigung des Appetits, der sich allgemein als äußerst gesund erwies.
Rosina hatte ihren Platz zwischen Mr. Abel und Sir Ridgebottom gefunden. Letzterer war ein weit gereister Kaufmann von ansehnlichem Vermögen, der dank delikater politischer Missionen für den Hof kürzlich geadelt worden war und im Übrigen ein alter Herr von nur noch geringem Hörvermögen. Was ihn wenig störte, da die meisten Menschen nach seiner
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