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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hatte Augusta ein hartes Stück trickreicher Arbeit gekostet, ihren störrischen Neffen davon zu überzeugen, dass auch ein honoriger Großkaufmann seiner Frau besser nachreise, wenn er ihre Rückkehr und eine glückliche Zukunft wolle. Sicher war Annes einer Flucht gleichende Abreise im vergangenen Jahr ebenso störrisch und gewiss nicht klug gewesen. Doch das Aufrechnen von Fehlern mochte im Kontor nötig sein, für eine Ehe taugte es kaum.
    Dass Claes, nachdem er seine Frau auf Jersey wiedergefunden hatte, mit ihr nach den nordamerikanischen Kolonien weitergereist war, hatte Augusta allerdings überrascht. Womöglich hatte ihn unterwegs – und mit Annes Nachhilfe – die Lust auf die weite Welt und den Luxus etlicher Monate fern von Kontor und Börse gepackt. Vielleicht hatte auch Rosina Recht, und er wollte tatsächlich nur neue Geschäfte anknüpfen und so den Hamburgern die Klatschmäuler stopfen, doch Augusta zog es vor, an ein gemeinsames, der Liebe unbedingt förderliches Abenteuer der beiden Menschen zu glauben, die ihr am nächsten standen.
    Obwohl endlich alles gut zu sein schien, sorgte sich Augusta. Anne hatte den Brief am gleichen Tag geschrieben, an dem sie und Claes ihre Nachricht erhalten hatten.Gerade zur rechten Zeit, schrieb sie, denn ihr Schiff, die
Queen of Greenwich
, werde schon bald von Philadelphia auslaufen, vielleicht seien sie und Claes sogar schon vor diesem Brief am St.   James Square. Sie freue sich darauf, noch einige Zeit in London zu verbringen, umso mehr, als Mr.   Franklin, der Erfinder des Blitzableiters, als Vertreter einiger Kolonien bei der britischen Regierung in London lebe. Sie hoffe unbedingt, ihn dort zu treffen. Die Anbringung des ersten Ableiters auf dem Kontinent, nämlich auf dem Turm der Hamburger St.-Jacobi-Kirche, habe sie nun versäumt, was sie bei aller während der vergangenen Monate erlebten Freude doch gräme. Sie und Claes dankten Mrs.   Cutler für die Einladung und nähmen sie mit Freuden an. Doch sei es ihr nach einer so langen Reise die größte Freude, bald wieder zu Hause an der Elbe zu sein.
    Das konnte nur heißen, dass sie mit der Sehnsucht nach ihrer Heimatinsel Jersey abgeschlossen hatte. Sowohl der Skandal als auch die nahezu ein dreiviertel Jahr währende Reise hatten sich mehr als gelohnt.
    Eine schnelle Brigg hatte Annes Brief über den Atlantik gebracht, und wahrscheinlich segelte das Schiff der beiden Herrmanns sehr viel langsamer. Dennoch hätten sie längst eintreffen müssen.
    Noch sei kein Anlass zur Sorge, hatte Mr.   Cutler versichert, als sie ihn um Rat fragte, die Dauer einer Fahrt über den Atlantik sei unberechenbar, und die Piraten trieben ihr Unwesen weitab der üblichen Route im Karibischen Meer. Leider hatte er noch hinzugefügt: ‹Jedenfalls die meisten›, was Augustas Phantasie auf unangenehme Weise beflügelte.
    Tatsächlich hatte Mr.   Cutler, der es unnötig fand, zarte,insbesondere ältere Damen mit der rauen Wirklichkeit zu belasten, nur die halbe Wahrheit gesagt. In den Kolonien wuchs die Unruhe gegen das Mutterland, neuerdings tauchten immer mehr amerikanische und auch französische Piraten auf und entführten frech Englands Handelsschiffe. Die waren bis in die letzte Ecke beladen, nur mit der nötigsten Besatzung und, wenn überhaupt, mit wenigen kleinen Kanonen ausgestattet. Anders als die gut gerüsteten Ostindien-Fahrer hatten sie gegen schwer bewaffnete Kaperer keine Chance. Immerhin gab es auf dieser Route wenig Blutvergießen, denn die Kaperer im Atlantik wollten keinen Kampf, sondern einzig die Ladung und Lösegeld für die Passagiere und die Besatzung. Sollte die
Queen of Greenwich
also in irgendeiner versteckten Bucht gefangen gehalten werden, würde man bald von den Piraten hören, die Forderungen erfüllen, und in einigen Wochen wären auch Madame Kjellerups Verwandte erschreckt, aber wohlbehalten in London. Wozu sie jetzt schon aufregen? Vielleicht wäre Augusta sogar seiner Meinung gewesen.
    Sie faltete den Bogen und beschloss, für heute nicht mehr an Stürme, Piraten und Schiffbruch zu denken. Nach einem letzten Blick in den Spiegel, einem letzten Zupfen an ihren von Cillys Zofe nach der letzten Mode hoch aufgetürmten silbrigen Löckchen machte sie sich energisch auf den Weg zum großen Salon. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange, bis auch die letzten Gäste eintrafen und zu Tisch gebeten wurden. Augusta hatte schrecklichen Hunger.
    Etwa die Hälfte der Gäste war schon eingetroffen, als sie

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