Die englische Episode
den Salon betrat. Unter ihnen war auch ein alter Freund aus ihren Kopenhagener Zeiten, der dänischeGesandte am englischen Hof, Graf Dagenskøld. Damals war er ein quirliger junger Mann mit einer offenen Schwäche für freche Singspiele und einer heimlichen für die seinerzeit blutjunge Madame Kjellerup, was beides ungehörig, aber charmant war. Nun begrüßte er Augusta als behäbiger Herr mit einer behäbigen, gleichwohl um viele Jahre jüngeren Gattin, seinen Sohn und zwei semmelblonde Töchter im Gefolge, alle drei quirlig, wie ihr Vater es vor vielen Jahren gewesen war.
Als Joseph Miss Hardenstein meldete, mit schmalen Lippen, denn er war es an solchen Abenden nicht gewöhnt, eine Dame ohne Begleitung, die zudem in einer Droschke vorgefahren war, in den Salon zu führen, drückte Augusta dem verblüfften Graf Dagenskøld ihr Sherryglas in die Hand und eilte zur Tür.
Niemand, der Rosina dort stehen und höfliche Begrüßungsworte mit der Gastgeberin wechseln sah, hätte in der jungen Dame in ihrer eleganten rosenholzfarbenen Robe eine unbedeutende Wanderschauspielerin vermutet. So wie auch niemand vermutet hätte, dass jemand es wagen könne, in einem Kleid aus zweiter Hand bei einer Soiree am St. James Square zu erscheinen.
Rosina hatte, wie in Hamburg verabredet, Madame Augusta besucht und ihr im kleinen Salon gerade von dem Mord in der Druckerei Boehlich, dem Missgeschick des Senators und von Wagners lästigem Auftrag erzählt, als Mrs. Cutler hereinkam, Augustas Freundin begrüßte und umgehend zu ihrer Soiree einlud. Rosinas Versuch, sich mit anderen Verpflichtungen zu entschuldigen, wurde fröhlich ignoriert. Als Freundin der lieben Augusta kenne sie gewiss auch den Hamburger Musikdirektor, man erwarte seinen Bruder, der ein überaus berühmter, dennochganz reizender Mensch sei und sich freuen werde, sie zu begrüßen.
Mrs. Cutlers Stimme wurde zum glücklichen Zwitschern. Keiner anderen Gastgeberin in London würde es gelingen, Mr. Johann Christian Bach, dem Darling der Londoner Gesellschaft, gleich zwei gute Bekannte seines älteren Bruders Carl Philipp Emanuel zu präsentieren. Rosinas zarter Einwand, sie sei mit dem Hamburger Kantor nur
sehr
flüchtig bekannt, fiel deshalb ihrer Angewohnheit zum Opfer, Unwichtiges konsequent zu überhören.
Augusta fand das sehr amüsant und sah keine Veranlassung zu erwähnen, dass Rosina sich nur für einige Wochen im Jahr in Hamburg aufhielt und ansonsten mit einer Komödiantentruppe durch das Land zog. Das würde sie am Tag nach der Soiree tun, sie freute sich schon auf Cillys Gesicht.
Die flatterte schon wieder geschäftig davon und Rosina hatte ein Problem. Selbst wenn sie ihr gutes Kleid wie bei ähnlichen Gelegenheiten mit einigen Zutaten aus den Kostümkörben aufputzte, würde sie auf einer Abendgesellschaft am St. James Square wie eine arme Verwandte aussehen. In Hamburg hätte Anne Herrmanns mit Leihgaben aus ihrem gut und geschmackvoll gefüllten Kleiderschrank ausgeholfen, aber hier in London? Mrs. Tottle erwies sich als Retterin in der Kleidernot. Sie empfahl ein Geschäft nahe Charing Cross, an das Zofen abgelegte Kleider, Fächer und Schuhe verkauften, die sie von ihren Herrinnen geschenkt bekamen. Grandiose Kleider für jede Gelegenheit, versicherte Mrs. Tottle, zumeist nur ein- oder zweimal getragen. Hätte sie Verwendung für eine so feine Ausstattung, würde sie selbst dort einkaufen.
Die unbekannte junge Dame mit den üppigen blonden Locken in ihrem eleganten, an Dekolleté und Ärmeln mit reichen Spitzenvolants besetztem Gewand, das einige der Damen
ein wenig
an die Robe erinnerte, die die Herzogin von York im letzten Winter getragen hatte, erregte Neugier. Vor allem wegen der langen Narbe auf ihrer linken Wange und der etwas altmodischen Fassung ihres Schmucks aus Rubinen und kleinen Perlen – Augusta war sicher, dass Rosina zum ersten Mal den Schmuck ihrer Mutter trug. Doch gleich nach ihr trafen weitere Gäste ein, die begutachtet werden mussten, vor allem Lord und Lady Wickenham mit drei neuen Freunden Williams, und alle Augen hefteten sich auf das junge Paar, begierig nach Anzeichen der schweren Krise, von der schon seit Monaten geflüstert wurde.
Nur Mr. Cutler taxierte Rosina ein wenig länger und stellte befriedigt fest, dass ihr Gesicht anstelle der üblichen Langeweile Neugier und Intelligenz ausdrückte, die sie zu einer schlechten Heiratskandidatin machten, aber zu einem viel versprechenden Opfer
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