Die englische Episode
mit Teich, Pfauen und Pavillon, reich gedeckte Tische, die Weine im Keller, die vierspännige Kutsche vor der Tür …
Da schob sich Titus’ ganz realer dicker Bauch in der grasgrünen Weste vor die schöne Vision, Wagner und Karla ließen sich neben dem Spaßmacher auf die Stühle plumpsen, und die Bilder schwanden. Für den Moment, er würde den Plan nicht vergessen und Helena würde – der Gedanke holte ihn vollends in die Realität zurück. Leider neigte seine Frau hin und wieder zu kleinlicher Beckmesserei, die dem wagemutigsten Entrepreneur seine Pläne sauer machen konnte.
Die Neuankömmlinge wurden eilig mit Mr. Lancing bekannt gemacht, erfuhren selbst die letzten Neuigkeiten aus dem Drury Lane Theatre, und endlich brachte der Kellner drei dampfende Teller.
«Verzeiht, wenn ich aufdringlich erscheine», die Stimme kam vom Nachbartisch hinter Jeans Rücken, «ich höre, dass Ihr Deutsch sprecht, und wenn man allein in einer fremden Stadt ist, ist es angenehm, heimatliche Laute zu hören …»
«Dann setzt Euch doch zu uns.» Jean hatte sich nach dem Sprecher umgedreht, einen durchaus manierlichen jungen Mann erblickt, und ein Hauch seiner lukrativen Zukunftsträume kehrte schlagartig zurück. Er war immer bereit, an gütige Fügungen des Schicksals zu glauben, hier saß womöglich sein erster Schüler und bat artig um Konversation.Er war schlank und hoch gewachsen, noch ein wenig allgemein im Ausdruck, das wohl, aber mit seiner, Jeans Hilfe konnte ein ganz präsentabler jugendlicher Liebhaber aus ihm werden. Das dichte dunkelblonde Haar war allzu schlicht, dem konnte mit der Brennschere leicht abgeholfen werden. Und die Augen – zumindest interessant. Sein Rock aus leichtem, tadellos gebürstetem Tuch, das feine Leinen seines Hemdes, der Ring mit der seltsamen Gravur – der Mann war kein Hungerleider, die Bezahlung des Unterrichtes würde ihm keine Schwierigkeiten bereiten.
Titus zog einen weiteren Stuhl an den Tisch. Er war daran gewöhnt, dass sein Prinzipal ständig mit Fremden schwatzte, es störte ihn nicht. Wagner griff schon wieder nach seinem großen blauen Tuch. Er hatte den Mann am Nebentisch längst bemerkt, nicht wegen dessen schlichter, doch eindeutig teurer Kleidung, so etwas bemerkte er selten, sondern weil er sicher war, dass dessen Blicke länger und sehr anders auf Karla geruht hatten, als es einem jungen Ehemann lieb sein konnte.
«Vinstedt», stellte sich der fremde, in Wagners Augen unerhört aufdringliche Mensch mit verbindlichem Lächeln vor, «Magnus Vinstedt.»
Wagner hätte gerne mehr gehört, zumindest das Woher und Wohin, wie es Sitte war, wenn man sich in der Fremde traf. Doch Jean kam ihm zuvor: «Aha, Mr. Vinstedt. Gewiss seid Ihr in Covent Garden, weil Ihr das Theater liebt?»
«Das Theater? Nun ja.» Vinstedt zögerte. «Um ehrlich zu sein», fuhr er fort, «genau deshalb wohne ich hier, wegen des Theaters. Schon in der Lateinschule hat es für mich nichts Schöneres gegeben als die Theateraufführungen,wenn sie auch sehr fromm und viel langweiliger waren als alles, was man auf den Londoner Bühnen sieht.»
«In der Tat.» Jean frohlockte. «Und nun träumt Ihr davon, bald selbst auf den Brettern zu stehen. Als Brutus etwa? Ihr würdet auch einen prachtvollen Tellheim geben, in einigen Jahren jedenfalls, und die jungen Schäferrollen …»
«Romeo», zwitscherte Karla dazwischen, die nichts vom Theater wusste, jedoch auf der Überfahrt während vieler Stunden von Manon die wichtigsten Stücke erzählt bekommen hatte, wobei sie anders als ihr Prinzipal eine Vorliebe für Dramen mit tödlichem Ausgang bewies. Wagner, dem die ergreifende Tragödie Romeos und Julias ebenso fremd war wie Minna von Barnhelms pfiffiger Kampf um ihren so schrecklich ehrbaren Tellheim, blinzelte nur irritiert, und Jean, der diese Rolle niemals abgeben würde, selbst wenn er alt und grau geworden war, fuhr mit Nachdruck fort: «Schäferrollen!! Ihr dürft das Heitere nicht verachten, Vinstedt. Natürlich bedarf es für diese Rollen etlicher Lehrjahre. Oder des Besuches einer exzellenten Theater-Akademie, das wäre das Allerbeste. Unbedingt. Zufällig trage ich mich gerade mit Plänen, die Euch interessieren werden. Wir sind nämlich Komödianten. Jean Becker», stellte er sich endlich vor, «Prinzipal», und zauberte mit gereckten Schultern seine stolzeste Cäsar-Miene hervor.
Leider verzog sich Magnus Vinstedts Gesicht nicht in der erhofften Ehrfurcht. Falls er jemals von
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