Die englische Episode
der Becker’schen Gesellschaft gehört hatte, wusste er das gut zu verbergen.
Nachdem Titus als Spaßmacher aus einer uralten Dynastie venezianischer Arlecchinos vorgestellt war, wasnicht nahe, aber auch nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt lag, sagte Jean: «Und hier haben wir Meister Wagner und seine reizende Gattin Karla, ja. Komödianten aus Hamburg», er grinste breit und in weinseliger Vertraulichkeit, «tatsächlich zwei rechte Kuckuckseier in unserem Nest, tatsächlich …»
An dieser Stelle stieß Titus, geplagt von einem plötzlichen Hustenanfall, seinen Ellbogen so heftig gegen Jeans Arm, dass ihm das Bier aus dem Glas schwappte, und Wagner rief hastig: «Aha, Theater, so. Und was treibt Ihr sonst an der Themse?»
Vinstedt beobachtete die sich langsam zwischen den Tellern ausbreitende Bierlache und zuckte die Achseln. «Die Stadt ansehen», sagte er, «Freunde besuchen.»
Er habe in Göttingen Jurisprudenz studiert und nun, da alle Welt nach Italien reise, habe er es vorgezogen, die andere Richtung einzuschlagen. Vielleicht fahre er in einigen Wochen weiter nach Schottland, die Hebriden, so habe er in einem Kaffeehaus in der City gehört, seien im Sommer ein lohnenswertes Ziel, wenn es dort auch noch häufiger regne als in London.
Die letzten Worte sprach er nur langsam, sein Blick, der bisher immer wieder zu Karla zurückgewandert war, verharrte bei zwei Frauen, die in der Tür der Taverne standen und sich suchend umsahen.
«Voilà!», rief Jean, dessen Augen Vinstedts Blick gefolgt waren, und stand so rasch und gerade auf, wie es der Wein in seinem Blut erlaubte. «Darf ich Euch meine verehrte Madame Becker vorstellen? Und Mademoiselle Rosina, unsere unvergleichliche Primaballerina und jugendliche Liebhaberin. Ihr solltet sie auf der Bühne sehen! Aber wie ich schon sagte, die Schäferrollen …»
Endlich hatte Magnus Vinstedts Gesicht seine Ausdruckslosigkeit verloren. Titus war nicht sicher, ob dies an Helenas wahrhaft königlicher Erscheinung lag oder an Rosina, die sich mit erhitztem Gesicht und zerzaustem Haar hinter Helena durch die Menge vor der Theke und zu ihrem Tisch drängte.
Wagner fand es an der Zeit, Karla in Sicherheit zu bringen, so machten sie ihre Stühle für die beiden Neuankömmlinge frei. An der Tür drehte er sich noch einmal um. Seine eifersüchtige Sorge, Vinstedt werde ihnen folgen, um herauszufinden, wo Karla wohne, erwies sich als überflüssig. Er sah ihnen nicht einmal nach, sondern hatte sich erhoben und rückte Helena den Stuhl zurecht. Was Wagner erleichterte, aber auch charakterlos erschien. Dennoch, die Geste wirkte hübsch ritterlich, er wollte versuchen, daran zu denken, wenn er sich das nächste Mal mit Karla zu Tisch setzte.
Helena hatte fest vorgehabt, Jean für sein langes Ausbleiben eine deftige Standpauke zu halten. Da ihr Ärger jedoch nie lange anhielt und sie in leichten Fällen mit einer Tasse Schokolade zu bestechen war, klang schon bald ihr warmes Lachen durch den Raum. Zuerst hatte sie der fremde Mann neben Jean gestört, sie war begierig zu hören, was Rosina am St. James Square erlebt hatte, und die würde mal wieder nichts erzählen, solange fremde Ohren zuhörten. Doch Mr. Vinstedt erwies sich als so ehrerbietig, Jeans Lobpreisungen ihrer Talente und Verdienste auf der Bühne als so erhebend, die Schokolade als so süß und aromatisch, dass ihr gar nichts übrig blieb, als gut gelaunt zu sein.
«Mr. Becker, wenn Ihr erlaubt.» Lancing, der während des letzten, für ihn völlig unverständlichen Teils des Gesprächeseinen Gast an einem anderen Tisch begrüßt hatte, stand mit bittend erhobenem Finger neben Jean. «Da Ihr ein erfahrener Akteur seid, dachte ich, nun ja, ich denke, Ihr könnt meinem Freund helfen.»
Er wies mit dem Daumen über seine Schulter auf einen Mann, der in Statur und Ausdruck Titus erstaunlich ähnelte, wenn sein Haar auch nicht dick und strohgelb war, sondern dünn und schwarz. Der Mann schwitzte stärker, als es dem milden Tag angemessen war, sein Hemd war am Hals geöffnet, die schlecht frisierte braune Perücke lag vor ihm auf dem Tisch. Er kaute grimmig auf einer ausgefransten Feder, mit tintenfleckigen Fingern hielt er einen Bogen Papier, der mit einigen sauberen und zahlreichen durchgestrichenen und überschriebenen Zeilen gefüllt war.
«Ben Marlowe ist Bänkelsänger», erklärte der Bühnenmeister, «einer der besten in Covent Garden, lasst Euch von seinem staubigen Rock nicht
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