Die englische Episode
schwarzer Schriftzug auf abblätternder roter Farbe an, wo Mr. Dibber seinen ‹Alchemistentrunk› ausschenkte. Das Haus gehörte zu den solidesten der Straße, Schäden im Mauerwerk waren frisch ausgebessert, die Fenster alle heil. Der Wirt schien gute Geschäfte zu machen.
Die Tür zur Schenke stand weit offen, und wer trotz der Gerüche dort einkehrte, musste hart gesotten sein. Rosina hörte schrilles Gelächter und eine grobe Männerstimme und entschied sich für die schmale Tür neben der Schenke.
Sie hatte richtig vermutet. Eine Stiege führte hinauf zum ersten Stock, sie war gut gefegt, und die Gerüche, die von oben kamen, ließen auf reinliche Räume und gut gewürzte Speisen schließen. Als sie den Treppenabsatz erreichte, stand plötzlich ein dicker Mann vor ihr. Ohne Zweifel der Wirt – von seinen Kleidern stieg der gleiche Geruch auf wie aus der Schenke. Sonnenlicht fiel durchdie geöffnete Tür eines Wohnraumes in den Flur und fing sich in der Gravur des roten Glassteins im Ring an der linken Hand des Mannes.
«Mr. Dibber?», fragte Rosina, und als er nickte, fuhr sie fort: «Ich habe gehört, Ihr vermietet Zimmer …»
Sein breites Gesicht verzog sich zu etwas, das mit einigem guten Willen durchaus als Lächeln bezeichnet werden konnte, und entblößte dabei ein erstaunlich vollständiges, nur vom Tabak verfärbtes kräftiges Gebiss.
«Tu ich, Miss», sagte er, «ganz prächtige Zimmer sogar. Ist gerade eins frei geworden, ruhig, geräumig und viel zu billig, man will ja kein Unmensch sein. Besonders, wenn ’ne unschuldige junge Miss vom Land in unserm schönen London eine Stellung sucht, seh ich ja gleich, dass Ihr das tut. Da kann ich auch was vermitteln, reinliche Arbeit, nur das beste Publikum, die Herren …»
«Danke, Mr. Dibber, zu gütig. Aber ich suche keine Stellung. Und wegen des Zimmers», sie zog ein Taschentuch hervor und fuhr sich damit über die Augen, «ich möchte es so gerne sehen, nur um ihrer ein Minütchen zu gedenken. Alma war nämlich meine Cousine, ich bin gerade erst in London angekommen, wir hatten verabredet, uns hier zu treffen, bevor ich weiterreise. Und jetzt erfahre ich», wieder seufzte sie, nun mit einem trockenen Schluchzer angereichert, «jetzt erfahre ich, dass sie tot ist. Die arme liebe Alma, sicher könnt Ihr mir sagen, mit wem …»
Mr. Dibber zeigte noch immer seine Zähne, allerdings glich er nun eher einem gereizten Mastiff kurz vor dem Sprung.
«Gar nichts kann ich», brüllte er. «Gar nichts! Und Ihr macht, dass Ihr wegkommt. Treppe runter und raus, sofort.Lauter Verwandte plötzlich, was? Erst der Herr Cousin, jetzt die Cousine? Wer’s glaubt. Raus, sage ich. Los!» Mit beiden Händen griff er Rosinas Schultern, drehte sie herum und schob sie rüde die Stiege hinunter. «Hier gibt’s nichts zu sehen und nichts zu sagen. Und überhaupt, eine Alma hat’s hier auch nie gegeben. Sie hieß, ja, Mary hieß sie, Mary …»
«Aber Mr. Dibber! Ich wollte doch nur fragen …»
«Hier wird auch nichts gefragt.» Unerbittlich schob sein praller Bauch sie die Treppe hinab und schubste sie auf die Straße. Die Tür flog hinter ihr ins Schloss und der Riegel wurde knirschend vorgeschoben. Rosina hätte gerne gegen die vermaledeite Tür getreten, doch die sah nach eisenharter Eiche aus und würde ihr nur die Zehen brechen. Vernunft, dachte sie grimmig, ruiniert den saftigsten Zorn.
In der Gasse war es plötzlich still. Irgendwo läutete dünn eine der zahllosen Kirchenglocken, aus einem offenen Fenster klangen die Töne einer Fidel, doch die Menschen auf der Straße waren verstummt und drückten sich eilig davon, als trüge Rosina das Zeichen der Pest. Mr. Dibber war in der Half Moon Street, zumindest in diesem Teil der Straße, eine gefürchtete Autorität. Doch wenn seine Nachbarn auch vermieden, ihm in die Quere zu kommen, war es heute vor allem Mr. Dibber selbst, der Angst hatte. Das hatten seine Augen bei allem Gebrüll verraten. Von ihm würde sie nichts erfahren.
Nur der Mann, der gerade aus der Schenke trat, ließ sich nicht stören, sondern lud weiter seinen Karren ab, vor den zwei stiernackige Hunde mit staubbedecktem Fell geschirrt waren. Die Pockennarben auf seinen Wangen waren nichts Besonderes, die Blattern grassierten wiedie Schwindsucht ständig in London. Ohne Rosina zu beachten, begann er abzuladen. Er wuchtete eine Kiste auf die rechte Schulter, klemmte sich eine kleinere, wahrscheinlich mit Tabak
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