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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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wenig, findet Ihr nicht auch? Aber egal. Sie hat ihn bestimmt geliebt, echt und tief. Und treu, ja. Und er sie ebenso. Da bringt man sich doch nicht um.»
    Mrs.   Milbow, dachte Rosina, hat wirklich eine rettungslos romantische Seele.
    Sie ließ sich noch einige Steckkämme zeigen und entschied sich für einen aus dunkelbraunem poliertem Horn mit langen Zinken und wie Efeuranken geschnitztem Bogen, unbeschwert von Flitter jeglicher Art. Helena würde sich sehr darüber freuen. Mrs.   Milbow war von dieser schlichten Wahl enttäuscht. Sie räumte die glitzernden Exemplare in die Vitrine zurück, schlug heimlich einen Shilling auf den ohnedies viel zu niedrigen Preis undsteckte den Kamm in eine billige Tüte anstatt in die sonst übliche, mit dünnem gelbem Papier ausgelegte kleine Schachtel.
    «Eure Ware, Mrs.   Milbow, ist ausgezeichnet», sagte Rosina plötzlich, «doch wie alles, nun ja, alles Erlesene hat sie ihren Preis. Wenn Miss Severin oder wie immer sie hieß in der Half Moon Street gewohnt hat, hatte sie gewiss nicht viel Geld.»
    «Nur ein paar Shillinge, stellt Euch vor, diese große Liebe, und dann gibt er ihr nur ein paar Shillinge.» Der Gedanke an Pfund und Shilling ließ den Stern des edlen jungen Mannes in Mrs.   Milbows Seele rapide sinken. «Aber sie war nicht dumm. Sie hatte einiges an eigenem – wie soll ich es nennen? Ein Vermögen war es bestimmt nicht, aber doch ein nettes kleines Polster, sozusagen. Wartet   …»
    Sie öffnete eine Schublade, schob tastend den Arm ganz weit hinein und zog schließlich ein Tuch hervor. Sie schlug es auf der vorgestreckten Hand auseinander und sagte: «Ich weiß nicht, was es wert ist, es ist ja bloß Silber, aber ziemlich schwer und nicht zu klein. Ich habe es nur genommen, weil Mr.   Milbow solche Dinge mag. Es muss natürlich tüchtig poliert werden, aber dann ist es ein sehr annehmbares Geschenk von einigem Wert. Glaubt Ihr nicht?»
    Rosina nahm behutsam die Silbermünze von dem Tuch und hielt sie ins Licht. Die Medaille maß etwa zwei Zoll im Durchmesser und zeigte Maria und Joseph, Ochs und Esel mit dem Jesuskind im Stroh, an der linken Seite, neben Maria, stand ein mit seinem Hut winkender Hirte. Die umlaufende Schrift war nur mit Mühe zu entziffern: IESUS EIN KINDT GEBORN V.   EINER IUNCKFRAUWAUSERKORN. Auf der Rückseite taufte Johannes den im Jordan stehenden Jesus. CHRIST: D: HEILIG: TAUF: NIM: A.   V: SEIM: VORLAUFFER. IM. IOR:, erläuterte die Schrift.
    «‹Christus›», murmelte Rosina, «‹der die heilige Taufe nimmt an von seinem Vorläufer im Jordan›» und dachte: ‹Wenn Alma für dieses Silberstück nichts als Fächer, Seidenbänder und -blumen , Kämme und ein wenig Spitze gekauft hatte, hat Mrs.   Milbow ein exzellentes Geschäft gemacht.›
    «Ein wirklich hübsches Geschenk für Euren Gatten», sagte sie laut. «Und sehr romantisch.»
    «Ja, nicht wahr?» Mrs.   Milbow nahm Rosina mit spitzen Fingern die Medaille aus der Hand, wickelte sie rasch in das Tuch und legte sie in die Lade zurück. «Wie ich schon sagte, sie war nicht dumm. Sie hat mir verraten, dass sie diese und einige weitere in ihr Mieder eingenäht hatte. Erbstücke, hat sie gesagt, und ich finde, es ist kein Verbrechen, wenn eine Frau sich ein wenig eigenes Geld beiseite legt. Kein Verbrechen, ja. Sonst müssten wir unsere Männer wegen jedes Pennys belästigen, was nur zu überflüssigen Verstimmungen führt, sicher seid Ihr meiner Meinung.»
    Als Rosina wieder auf der Straße stand, atmete sie tief durch. Die meisten der Münzen und Medaillen auf Senator van Wittens Liste hätte sie kaum auf den ersten Blick erkannt, selbst wenn sie wie diese in deutscher Sprache beschriftet gewesen wären. An die Beschreibung des ‹Hamburger Weihnachtstalers›, der tatsächlich keine Münze, sondern eine Medaille, ein Ehrengeschenk war, erinnerte sie sich jedoch genau. Wegen der Weihnachtsgeschichte, aber auch wegen der altertümlichendeutschen Schreibweise auf der etwa hundertzwanzig Jahre alten Prägung. Die meisten Stücke in van Wittens Sammlung, auch die aus den deutschen Ländern, waren lateinisch beschriftet. Einem Londoner Sammler mochte dieser ‹Taler› über den reinen Silberwert hinaus wenig bedeuten, einem Hamburger Senator aber viel. Wenn van Witten Glück hatte, erwies sich Mr.   Milbow als ein empfindsamer Mann, der die Geschenke seiner Gattin nicht umgehend in gute englische Guineen umtauschte, und der Senator konnte jemanden beauftragen, den Taler

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