Die englische Episode
mit flinken Fingern die Vitrine und griff nach den beiden am üppigsten mit Perlmutter, Goldfäden und Glasperlen besetzten. «Sie war dreimal bei mir», erklärte sie, während sie die Kämme eilig anhauchte und ein wenig nachpolierte, «mein Sortiment hat ihr sehr gut gefallen, ja, sie verstand etwas von diesen Dingen. Ohne Zweifel kam sie aus einem guten Haus, tadelloseManieren und eine sanfte Stimme.» Mrs. Milbow wandte sich mit versonnenem Lächeln zum Spiegel und hielt sich die Blume an ihr Haar. «Ist es nicht eine romantische Geschichte?»
«Romantisch?» Rosina schluckte. «Immerhin ist sie jetzt tot.»
«Ja, das ist schrecklich.» Mrs. Milbow ließ die Blume in den Karton zurückfallen und faltete fromm die Hände über ihrem mit drei Reihen Spitze und Goldfäden gesäumten Brusttuch. «So ist das Leben, allzu Schönes nimmt ein böses Ende.»
Rosina stimmte artig in den Seufzer ein und betrachtete die Kämme, deren Wert durch die Berührung eines Mädchens, das ein so grausiges Ende gefunden hatte, offenbar enorm gestiegen war.
«Aber natürlich», sagte sie abwägend, als Mrs. Milbow erstaunlicherweise schwieg, «bevor sie starb, war es gewiss romantisch. Sicher habt Ihr auch ihren Mann kennen gelernt?»
«Ich sage es Euch im Vertrauen, Miss, sie waren gar nicht verheiratet. Noch nicht, sicher hätten sie es bald getan. Er ist ein feiner junger Herr», versicherte Mrs. Milbow eifrig, die schon befürchtet hatte, das Gespräch sei wegen des bösen Endes vorbei. «Groß, blond, mit schönen Augen, elegant, gebildet, ach ja, ein unternehmender junger Mann mit den besten Aussichten. Aber leider, er war nie hier. Er musste ja ständig in Geschäften unterwegs sein. Nur sich regen bringt Segen, sagt Mr. Milbow immer, und ich bin ganz seiner Meinung.»
Sie wisse all das von der jungen Miss selbst, die habe das Englische nur wenig beherrscht, doch mit etwas Geduld habe es gereicht. Und sie habe gleich Vertrauen gefasst,was übrigens alle ihre Kundinnen täten, sie könnte Geschichten erzählen! Aber sie sei bekannt für ihre Verschwiegenheit. Ja, das sei sie.
«Alma», rief Rosina schließlich mitten in den Redefluss. «Sie hieß doch Alma? Alma Severin?»
«Severin? Alma?» Mrs. Milbow zog irritiert die Brille aus der Tasche und setzte sie auf ihre Nasenspitze. «Wen meint Ihr?»
«Die Tote. Ich habe gehört, sie hieß Alma Severin. Oder so ähnlich.»
«Tatsächlich? Woher wisst Ihr das? Mir hat sie ihren Namen nicht genannt. Leider. Und wenn ich richtig informiert bin, weiß ihn nicht mal Mr. Dibber, und der war ihr Wirt. Er soll sogar den Namen ihres Gatten, nun ja, ihres Bräutigams vergessen haben. Einfach vergessen. Was sehr seltsam ist, findet Ihr nicht? Aber der ganze Mr. Dibber ist seltsam, ich glaube kaum, dass seine Kunden ihm das Vertrauen entgegenbringen, das ich von meinen erfahre, ich …»
«Woher», unterbrach Rosina sie schnell, «woher wisst Ihr dann, dass sie die Tote aus der Half Moon Street war?»
«Ich habe das arme Kind doch gesehen. Wie man sie am Morgen aus dem Haus trug. Es sind ja nur wenige Schritte bis zum
King’s Belly
, und das Geschrei der Leute und die Constablers – da muss man doch nachschaun, was vorgeht. Ich habe sie gleich erkannt. Alma hieß sie also? Ein hübscher Name. Ihr Mann hieß Felix, das hat sie mir …»
«Felix?» Rosina war plötzlich wieder hellwach. «Und weiter? Wie ist sein Familienname?»
Mrs. Milbow spitzte schmal die Lippen. Sie liebte esnicht, bei einer Wissenslücke ertappt zu werden, und diese war nun schon die zweite.
«Sie hat nur einmal von ihm als Felix gesprochen», sagte sie würdevoll. «Nur Felix, mehr weiß ich nicht. Ein eigentümlicher Name, oder? Jedenfalls bei uns in London. Ja. Und
ich
glaube
nicht
, dass er sie getötet hat, ich kann das einfach nicht glauben.»
«Warum nicht?»
«Weil sie sich doch so geliebt haben, das hat sie gesagt. Sie hat mit ihm ihre Heimat verlassen, einfach so und ohne sich lange zu verabschieden, wenn das nicht romantisch ist! Zuerst hatte er eine andere Wohnung gemietet, in der City, ich glaube nahe bei der Kathedrale, und erst vor zehn Tagen sind sie hierher gekommen Oder vor elf? Vielleicht auch vor neun Tagen, jedenfalls hat sie gesagt, sie folgt ihm überallhin, selbst in die Half Moon Street, aber eigentlich will sie nur in die amerikanischen Kolonien, egal, was er sagt und tut.» Sie neigte stirnrunzelnd den Kopf zur Seite. «Das widerspricht sich ein
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