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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gefüllte unter den linken Arm und verschwand, während sie schon die Gasse hinunterlief, im
King’s Belly
.
    Durch das letzte Stück der Half Moon Street, nun kaum noch breiter als die Schultern eines kräftigen Mannes, erreichte sie die Strand. Der Lärm der breiten Straße schlug ihr entgegen, und wenn sie bisher über das unablässige Dröhnen der Stadt geklagt hatte, klang es ihr nun wie das fröhlich pulsierende Leben.
    Ob sie doch besser Wagner geweckt und mitgenommen hätte? Es hätte wenig genützt, von dem kleinen Weddemeister hätte Dibber sich kaum mehr beeindrucken lassen als von ihr.
    Es musste noch jemand anderen geben als den Wirt, der die Tote gekannt oder sie zumindest hin und wieder gesehen hatte. Sie und ihren Begleiter. Die Stadt war wohl ein riesiges Labyrinth, doch wie überall auf der Welt bewegten sich die Menschen auch an der Themse wie in einem Dorf, ihr Alltag fand in ihrem Stadtteil, in der Nähe ihrer Wohnungen statt. Die Läden, in denen die Patentochter der Senatorin – wenn die Tote tatsächlich Alma und nicht doch irgendeine Mary gewesen war – eingekauft hatte, mussten hier sein, in diesen Straßen. Wenn sie zu dem Bäckerladen zurückginge – aber nein, hätte das Mädchen dort die Tote gekannt oder sich an sie erinnert, hätte sie es zweifellos als Erstes erzählt.
    Aber die Seidenkleider in ihrem Reisekorb, von denen der Bänkelsänger erzählt hatte!
    Sie musste nicht weit gehen. Eines der nächsten Häuser zeigte in seinem Schaufenster all die schönen kleinen Dinge, die ein Mädchen begehren mochte, das Seidenkleider in ein Zimmer über einer Gin-Spelunke brachte. Da waren Bänder in allen Farben aus Seide, Taft, Spitzen und glänzendem Leinen, Knöpfe aus Silber, Messing und Kupfer, aus Glas oder mit Stoffen überzogen, bunte Perlen in vielen Größen, Fächer und Handspiegel, mit Perlmutter bestickte Täschchen, Schmuck aus Glas und Gold- und Silberfäden, Duftwässer, Nadeln, Garne, Stickrahmen und vieles mehr. Und – zum Glück!– keine einzige altertümliche Münze!
    Das Glöckchen an der Tür klingelte nur zart. Der Laden war klein, die Regale an den Wänden bis auf die letzte Lücke mit ordentlich beschrifteten flachen Kartons verschiedener Größe gefüllt. In einer Vitrine neben der Verkaufstheke lagen in drei Etagen Schmuck und Kämme. Die Frau hinter der Theke trug ein nach der vorletzten Mode geschnittenes Kleid aus schlichtem blassrot und weiß gestreiftem Kattun, ansonsten präsentierte sie sich wie ein wandelndes Schaufenster ihres Ladens. Ihr mausbraunes, von erstem Grau durchzogenes Haar war hoch aufgetürmt und litt sichtlich unter seiner Last von Kämmen und Seidenblüten, ihr Mieder mit einer doppelten Reihe verschiedener Knöpfe strotzte vor Litzen, Bändern und Schleifen, der billige Schmuck an Ohren, Hals und Händen hätte leicht für drei Frauen unterwegs zu einem Tanzabend gereicht. Rosina war sicher, dass auch die beiden Fächer, die auf der Theke lagen, umgehend vorgeführt werden würden.
    Es kostete sie nur die Frage nach einem mit Perlmutter verzierten Schmuckkamm, ähnlich dem im Fenster,und knappe zwei Minuten, bis Mrs.   Milbow, so hatte sich die Frau hinter der Theke vorgestellt, versicherte, sie habe die bedauernswerte Tote von der Half Moon Street gekannt, erst vorgestern noch sei sie in ihrem Laden gewesen, ein reizendes Kind, und habe einen Fächer gekauft. Diesem hier – schon griff sie einen von der Theke und fächelte heftig vor Rosinas Gesicht – ganz und gar ähnlich. Tatsächlich habe sie auch diesen – wieder fächelte es heftig – probiert.
    Mrs.   Milbow war ein redefreudiges Wesen, was ihre Geschäfte ohne Zweifel beförderte, und geradezu begierig, alles zu erzählen, was sie wusste und vermutete.
    «Es ist tragisch», seufzte sie, «so tragisch. Das arme Kind. Sie war ja noch ganz jung und eine wirkliche Schönheit. Nicht gerade aristokratisch, wenn Ihr versteht, was ich meine, aber von blühender Rosigkeit, und diese Haare, entzückend, wirklich entzückend. Besonders liebte sie Seidenblumen.» Sie drehte sich zu dem Regal hinter ihrem Rücken um, griff zielsicher einen Karton heraus und öffnete ihn.
    «Hier», sagte sie, «diese, nein, wartet.» Ihre Finger glitten zwischen die Lagen von feinem Papier und zogen eine blassgelbe, entfernt einer Kamelie ähnliche Blume mit einer zierlichen Perle in ihrer Mitte hervor. «Eine wie diese hat sie gekauft. Und zwei Kämme.» Sie eilte hinter der Theke hervor, öffnete

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