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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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dein Gewissen dir befehlen, ihm zu helfen.«
    Â»Ich werde ihn mir nicht ansehen.«
    Honor stand fassungslos da und versuchte die Wut hinunterzuschlucken, die in ihr hochkochte. »Ich habe ihm das Wasser versprochen.«
    Â»Dann bring es ihm und gehe anschließend zurück an deine Arbeit im Garten.« Judith drehte sich um und verschwand im Haus.
    Die Hoffnung, die im Gesicht des Mannes aufleuchtete, als sie ihm den Becher reichte, tat Honor so weh, dass sie zu Boden blickte und zurücktrat. »Lassen Sie den Becher dort stehen, wenn Sie getrunken haben. Drei Meilen nördlich von hier liegt Oberlin. Gehen Sie zum roten Haus in der Mill Street, dort wird man Ihnen helfen und notfalls auch einen Arzt rufen.«
    Honor drehte sich um und rannte in den Garten zurück, wo sie mit der Hacke eine Furche zog und dabei dem Mann den Rücken zukehrte. Heiße Tränen strömten ihr übers Gesicht. Erst als sie eine ganze Reihe fertig hatte, wagte Honor, einen Blick über die Schulter zu werfen. Der Mann war verschwunden und der Blechbecher mit ihm.
    In jener Nacht fand sie keine Ruhe. Der Frühling neigte sich dem Ende zu, es war warm, aber noch nicht heiß. Vermutlich war es das beste Wetter, das Ohio zu bieten hatte. Honor lag neben Jack unter dem Hochzeitsquilt, aus dem ihre Füße herausragten, damit ihr nicht zu warm wurde. Jack schlief tief und fest, wie immer wenn sie beieinander gewesen waren. Ihr wachsender Bauch schien ihn nicht zu stören, und ob es sie störte, hatte er niemals gefragt. Sie gab seinem nächtlichen Verlangen nach, weil es einfacher so war. Eine Zeit lang hatte Honor sogar genossen, was sie miteinander im Bett taten. Die ungeheure Intensität und Tiefe der Empfindungen, die über sie hinwegrollten, waren etwas völlig Neues gewesen, damals, als ihre Gefühle füreinander noch frisch wie das junge Heu waren. Doch mit ihrem Versprechen, den Flüchtlingen nicht mehr zu helfen, waren diese Gefühle zu Stroh geworden: stumpf, grau und vertrocknet. Wenn Honor unter Jack lag und ihn vor sich hinpumpen ließ, fand sie selbst nicht mehr in den Rhythmus seiner Bewegungen hinein. Sie wusste nicht, ob er es bemerkte; er erwähnte es nie und schlief hinterher immer gleich ein.
    Honor lag schlaflos im Bett und dachte über den Mann und seinen Fuß nach. Sie spürte, dass er sich immer noch in der Nähe aufhielt und draußen im Wielandwald leiden musste. Wie konnte sie ihm nur helfen? Würde sie das überhaupt allein schaffen? Mit den Haymakers konnte sie nicht rechnen, genauso wenig mit Adam Cox, denn der würde sich niemals gegen die Familie ihres Mannes stellen. Sie dachte an den Schmied Caleb Wilson, der das Gedicht von Whittier zitiert hatte und nach der Andacht oft über die Sklaverei sprach. Er war ein Mann mit Prinzipien und würde sie vielleicht unterstützen – wenn er nicht so viel Achtung vor Judith Haymaker hätte. Nein, in Faithwell würde sie wohl kaum jemanden finden, der bereit war, sich ihrer Schwiegermutter zu widersetzen, selbst wenn es um eine gerechte Sache ging.
    Die Antwort hatte schon eine Weile am Rand ihres Bewusstseins geflackert, bevor Honor sie zuließ, aber dann konnte sie an nichts anderes mehr denken. Schließlich stand sie auf und zog sich leise an. Jack rührte sich nicht. Honor schlich nach unten und machte einen großen Schritt über Digger, der in der Tür lag. Er knurrte, ließ sie aber vorbei.
    Draußen setzte sie sich auf die Veranda und wartete eine Weile. Wenn Judith oder Dorcas sie gehört hatten und nachschauen kamen, würde sie sagen, dass sie sich nicht wohl fühle und frische Luft brauche. Tatsächlich fühlte sie sich in der milden Nachtluft gleich klarer, frischer und entschlossener. Ich habe ihnen gehorcht, dachte sie, aber es hat nichts geändert.
    Als sie sicher sein konnte, dass niemand wach geworden war, trat sie von der Veranda und lief durch das taufeuchte Gras zu dem Fahrweg, der am Hof vorbeiführte. Im Licht des Halbmonds marschierte sie in Richtung Faithwell, das schon bald hinter den Bäumen auftauchte. Sie lief am Kaufladen vorbei, an der Schmiede und am Haus von Adam und Abigail. Ihr Ziel war die Straße, die Oberlin und Wellington verband. Bei Nacht war Honor noch nie allein in Ohio unterwegs gewesen. Tausende von Grillen und Fröschen sägten, zirpten und quakten ihre überwältigende Begleitmusik zum Sternengefunkel

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