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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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zurückzugehen.
    Als Honor aus dem Obstgarten trat, liefen Jack und Dorcas gerade mit den Melkeimern über den Hof zur Scheune. Sie schauten sie verwirrt an. »Wo warst du?«, rief Jack, als er Honors von Tränen und Dreck verschmiertes Gesicht sah. Ihre Haube war verrutscht, Matsch klebte an ihren Stiefeln, und in ihren Kleidern hing der warme Geruch des Pferdes. »Wir haben dich im Klohäuschen vermutet.«
    Honor ignorierte ihn. »Digger!«, rief sie.
    Der Hund kam neugierig aus der Scheune gerannt. Er war es nicht gewohnt, dass Honor ihm Befehle gab. »Lauf.« Sie deutete in den Wald. »Such ihn.« Digger blickte ihren ausgestreckten Finger an, schnupperte in der Luft und schoss los wie der Blitz.
    Â»Honor, was ist los?«
    Honor antwortete nicht. Ihr fehlten die richtigen Worte. Sie drehte sich um und lief zum Heuschober. Es war kaum noch Heu aus dem letzten Jahr übrig, doch in wenigen Wochen würde die erste Ernte des Jahres den Schober wieder neu füllen. Immerhin gab es noch etwas Stroh, und obwohl es schal und dumpf roch, kletterte Honor auf den Haufen, rollte sich um ihren Bauch herum zusammen und schlief ein.
    Als sie aufwachte, saß ihre Schwägerin neben ihr und flocht Strohhalme zu Zöpfen. Honor sah zu ihr hin, setzte sich aber nicht auf. Von den drei Haymakers war ihr in diesem Moment Dorcas am liebsten: Wenn Jack zu ihr gekommen wäre, hätte sie sich nur aufgeregt, und bei Judiths Anblick wäre sie wütend geworden. Ihre Schwägerin jedoch war für Honor in den Monaten, die sie nun auf dem Hof lebte, zu einer eher gutartigen Irritation geworden.
    Dorcas schien ihren Blick zu spüren. Sie legte den Strohzopf weg und schlang die Arme um die Knie. »Sie haben ihn gefunden. Ein paar Männer sind gekommen, um ihn zu beerdigen.« Eine kurze Pause trat ein, dann sprach sie weiter. »Ich hasse dich nicht, Honor, was immer du auch von mir denken magst. Letzten Sommer, als du mir bei dem Wespenangriff geholfen hast, habe ich gehört, wie du mit einem Farbigen gesprochen hast, und ich habe es weder Mutter noch Jack verraten, obwohl ich das hätte tun müssen.« Sie hielt wieder inne. Honor sagte nichts.
    Â»Ich will dir helfen, die Haymakers zu verstehen. In North Carolina ist etwas geschehen, von dem wir dir nichts erzählt haben. Ich finde aber, wir sollten das tun«, fügte Dorcas hinzu und fiel einen Moment lang in die ihr eigene, selbstgerechte Verteidigungshaltung zurück. »Jack war auch dafür, es dir zu sagen, aber Mutter ist der Ansicht, es sei eine alte Familiengeschichte und für dich nicht wichtig. Doch es ist wichtig, weil es einiges erklärt.« Sie spielte mit dem Strohzopf. »Mutter weiß nicht, dass ich es dir erzähle.«
    Honor setzte sich auf und bürstete das Stroh von ihrer Haube. Sie sagte immer noch nichts; etwas schien ihr die Kehle zuzuschnüren.
    Â»Du kennst doch die Seitentür in der Scheune, den Notausgang, falls es brennt.«
    Honor nickte.
    Â»Jack war es sehr wichtig, diese Tür einzubauen«, erklärte sie und legte wieder eine Pause ein, bevor sie weitersprach. »Mutter hat dir erzählt, dass wir in North Carolina eine Geldstrafe zahlen mussten, weil wir einem entlaufenen Sklaven geholfen haben. Aber die viel schlimmere Strafe hat sie nicht erwähnt. Als Vater … als er …« Dorcas biss sich auf die Lippen. »Ich war damals zehn Jahre alt und Jack fünfzehn. Vater hatte schon einigen entlaufenen Sklaven geholfen. Eines Morgens tauchte wieder einer auf, und Vater versteckte ihn in unserer Scheune. Als der Besitzer des Sklaven und seine Männer ihn suchen kamen, behauptete Vater, in der Scheune sei niemand. Ja, er hat gelogen, aber nur, weil es um eine gute Sache ging. Und dann … und dann hat der Sklavenbesitzer Vater gepackt, und seine Männer haben die Scheune angezündet, um zu sehen, was Vater tun würde. Da hat er zugegeben, dass der Sklave drinnen versteckt ist. Sie sagten zu ihm, er solle ihn herausholen, während sie das Feuer löschen würden. Aber als Vater in der Scheune war, haben sie den Riegel vors Scheunentor geschoben, sodass Vater und der Sklave nicht mehr rauskonnten.« Tränen liefen über Dorcas’ blasses Gesicht. Honor nahm eine ihrer kalten Hände.
    Â»Sie haben uns verboten, uns der Scheune zu nähern. Jack ist sogar handgreiflich geworden und hat sie angegriffen, und du weißt, dass wir

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