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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Stapel herumquetschte, gelangte man in einen winzigen Raum, kaum größer als ein Schrank, in dem drei Holzstümpfe standen, die von den Flüchtenden anscheinend als Stühle benutzt wurden. Man musste sie aber nur umwerfen, um den Zwischenraum völlig unverdächtig aussehen zu lassen. Selbst die Lücke an der Wand konnte jederzeit mit Holz geschlossen werden, dann würde es so aussehen, als seien die Scheite dort etwas flüchtiger gestapelt worden, weil sie als Erste verbrannt werden sollten. Beim Blick in die winzige Kammer fragte sich Honor, wie viele entflohene Sklaven dort wohl schon versteckt worden waren. Dutzende? Hunderte? Belle lebte jetzt seit fünfzehn Jahren in Wellington, und Flüchtlinge gab es vermutlich schon so lange, wie es die Sklaverei gab.
    In dem Moment hörte Honor Comfort weinen und eilte zurück zu ihrem Baby. Sie kletterte so unbeholfen durch das Loch, dass Belle schmunzeln musste. Als Honor es endlich geschafft hatte und wieder in der Küche stand, lag Comfort bereits still und zufrieden in den Armen der Schwarzen. Obwohl Honor die Hände nach dem Baby ausstreckte, gab die Frau es ihr nicht zurück. »Für die weiße Herrin hab ich ’ne ganze Reihe Babys großgezogen«, sagte sie und wiegte Comfort entspannt in der Armbeuge. »Es fühlt sich gut an, wieder eins im Arm zu halten. Schaut sie an, Mädchen«, wandte sie sich an ihre Töchter, die am Tisch saßen. »Sie lächelt noch nicht, denn sie ist erst einen Monat alt, zu jung, um uns anzulächeln. Wir müssen uns ihr Lächeln erst noch verdienen.«
    Obwohl die Vernunft ihr sagte, dass Comfort nichts passieren konnte, musste Honor sich zurückhalten, um der Frau nicht gewaltsam ihr Baby zu entreißen.
    Die Schwarze hieß Virginie. Honor war eine ganze Nacht mit ihr zusammen durch Felder und Wälder gelaufen, ohne sie nach ihrem Namen gefragt zu haben. Sie hatte überhaupt nie einen Flüchtling nach dem Namen gefragt. Warum eigentlich nicht? Wollte sie auf diese Weise vermeiden, dass die entflohenen Sklaven in ihrem Kopf zu Menschen aus Fleisch und Blut wurden? Ohne Namen würden sie leichter wieder aus ihrem Gedächtnis und ihrem Leben verschwinden. Sie dachte an den namenlosen Mann, der im Wielandwald begraben lag.
    Suche auch in dieser Frau nach ihrem Anteil vom Licht, ermahnte sich Honor, denn er ist da, genau wie bei jedem anderen Menschen.
    Comfort war noch zu klein für solche Überlegungen. Für sie zählte nur, ob sie sich in den Armen, die sie hielten, sicher fühlte, und das tat sie ganz eindeutig. Sie schaute zu der Schwarzen hoch, die zu singen begonnen hatte:
    I’m wading deep waters
    Trying to get home
    Lord, I’m wading deep waters
    Trying to get home
    Well, I’m wading deep waters
    Wading deep waters
    Yes, I’m wading deep waters
    Trying to get home.
    Â»Sie lächelt!«, rief Honor.
    Virginie schmunzelte. »Das sind nur die Winde. Trotzdem ein schöner Anblick. Jetzt geh zurück zu deiner Mama, Kleines, und schenk ihr auch ein Lächeln.«
    Belle gab den Flüchtlingen geschnetzeltes Rindfleisch und Maisbrot zu essen. Das Maisbrot bestrich sie mit der Apfelbutter, die Honor am Vortag gemacht hatte. Das eine Zwillingsmädchen schlang alles hinunter, während seine Schwester nur im Essen herumstocherte und schließlich den Kopf auf die Arme legte.
    Â»Jetzt wird es Zeit, dass ihr zurückgeht«, sagte Belle. Sie hatte einen Arm voller Quilts aus den Schlafzimmern im Obergeschoss geholt und kam gerade die Treppe herunter. Sie öffnete die Hintertür und vergewisserte sich, dass draußen die Luft rein war.
    Honor und Virginie nickten sich einen Gute-Nacht-Gruß zu, und die Flüchtlinge krabbelten durch das Loch zurück in ihr Versteck. Wenige Minuten später trat Belle über die hintere Veranda zurück ins Haus. »Hoffentlich übersteht die Kleine die Nacht einigermaßen.« Sie schüttelte den Kopf. »Da drinnen ist es recht behaglich, aber ein Krankenzimmer ist es nicht. Die Erkältung sollte nicht schlimmer werden. Sie sind jetzt schon so nahe an Kanada, selbst im Kleinmädchentempo müssten sie es in einer Woche bis zum Eriesee schaffen. In Oberlin könnten sie sich auch eine Weile in der schwarzen Gemeinde verstecken, bis es der Kleinen besser geht. Aber erst mal müssen sie bis dorthin kommen.«
    Â»Belle, bist du … bist du eine

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