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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Bahnhofsvorsteherin?«
    Belle schnaubte. »Ach, weißt du, Honor, ich verwende diese albernen Begriffe nicht: ›Bahnhofsvorsteher‹, ›Haltestelle‹, ›Schaffner‹. Selbst der Begriff ›Untergrundbahn‹ – Underground Railroad – ist eine echte Geduldsprobe für mich. Das klingt doch eher nach einem Kinderspiel, dabei ist es wirklich alles andere als das.«
    Als Honor das Geschirr spülte, hörte sie das kleine Mädchen wieder husten. »Die kalte Luft tut ihr nicht gut«, sagte sie.
    Â»Donovan wird sie hören, wenn er mitten in der Nacht ums Haus herumschleicht«, seufzte Belle bekümmert. »Eigentlich sollte sie im Haus in einem warmen Bett schlafen, dann würde sie sicher ruhiger, vor allem, wenn wir ihr noch ein Schmerzmittel geben. Alle können wir nicht hereinholen, so viele könnten wir niemals vor Donovan verstecken, aber die Kleine schon.« Sie schob die Decke über dem Loch zur Seite und flüsterte etwas in den Schuppen. Wenige Minuten später wurde das kranke Mädchen hindurchgereicht. Belle verabreichte ihr einen Löffel dicker brauner Flüssigkeit aus einer Medizinflasche. »So, mein Kleines, und jetzt bring ich dich in mein Bett, und da bist du schön still«, sagte sie.
    Müde von den kurzen, unterbrochenen Nächten und den aufregenden Ereignissen des Tages, ging Honor bald selbst zu Bett. Sie ließ die Tür einen Spalt weit offen stehen, damit sie alles hören konnte und ein Lichtschimmer von unten ins Zimmer fiel, dann legte sie sich mit Comfort an ihrer Seite hin. Sie nahm Comfort immer mit in ihr Bett, damit sie in der Nacht nicht zum Stillen aufstehen musste. Belle war noch immer unten in der Küche, wo sie für ihre Hüte Blumen aus Stroh herstellte und wartete.
    Honor lag noch halbwach, als sie plötzlich spürte, dass jemand vor ihrem Bett stand. Im Lichtschimmer, der durch die Tür hereinfiel, zeichnete sich die Silhouette des kleinen Mädchens ab. Ohne ein Wort zu verlieren, schlüpfte sie zu Honor ins Bett, schob sich vorsichtig am Baby vorbei und kroch auf der anderen Seite unter den Quilt. Wie ein wärmesuchendes Tierjunges kuschelte sie sich an Honors Rücken. Sie hustete ein paar Mal und schlief dann ein.
    Honor lag ganz still da und lauschte auf den pfeifenden Atem des kranken Kindes und das fast unhörbare Seufzen ihrer eigenen Tochter. Es war ein seltsames Gefühl, dass sich ein kleines schwarzes Mädchen an sie kuschelte. So hatten Grace und sie als Kinder unter einer Decke gelegen, um sich gegenseitig zu wärmen. Im warmen Bett schien sich die Grenze zwischen Honor und dem schwarzen Mädchen aufzulösen. Hier gab es keine Extrabank. Mochte Honor sich unten im Laden, draußen in der Stadt oder überhaupt in der Welt auch noch so unsicher fühlen, im Bett mit den beiden Kindern, die auf sie angewiesen waren, wurde sie ganz ruhig. Es war fast, als seien sie eine kleine Familie. Seit Langem hatte Honor sich nicht mehr so aufgehoben gefühlt. Sie schloss die Augen und konnte endlich selbst einschlafen.
    Wenn Donovan in ein Haus kam, geschah das nie leise. Honor fuhr aus dem Schlaf hoch, als jemand draußen gegen die Haustür hämmerte. Von dem Lärm oder Honors Bewegungen war auch das Mädchen wach geworden und begann leise zu wimmern.
    Â»Psst«, flüsterte Honor. »Du musst jetzt ganz still sein und darfst dich nicht von der Stelle rühren.« Zum Glück lag Honor auf der Seite zur Tür hin und verdeckte mit dem Rücken das Mädchen hinter ihr, sodass Donovan sie nicht auf den ersten Blick entdecken würde. Das Mädchen kroch noch tiefer unter den Quilt, und Honor zog ihr die Decke bis über den Kopf, damit die Zöpfe mit den roten Schleifen nicht mehr zu sehen waren.
    Von unten hörte sie Stimmen, der Tonfall klang gemäßigt, es wurde auch nicht geschrien. Donovan nahm sich Laden und Küche vor. Er suchte systematisch, aber nicht gewaltsam. Es ging kein Glas zu Bruch, er zerriss keine Stoffe, trampelte nicht auf Hüten herum und zerschlug weder Geschirr noch Möbel. Honor hörte Belle sogar lachen, als handele es sich um einen alten Familienspaß zwischen ihnen. Donovan hatte das Haus eindeutig schon öfter durchsucht, vielleicht tat er es mittlerweile aus reiner Gewohnheit. Oder er hegte den Verdacht, dass seine Schwester schlauer war als er, und hoffte, ihr eines Tages doch noch auf die

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