Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
verkünden, dass sie sich nach La Rochelle zurückziehen würden.
Saurer Mageninhalt brannte in Hughs Kehle. Ohne die Poiteviner konnten sie nicht kämpfen, sie waren auf sie angewiesen. Und wenn man den Hang dieser Leute berücksichtigte, so rasch die Seiten zu wechseln, wie das Wetter im April umschlug, konnten sie jetzt schon auf dem Weg zu Louis sein. Wenn Longespee nicht im Norden siegte, war alles umsonst gewesen.
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Hafen von La Rochelle, Juli 1214
Hugh saß auf einer Mole und ließ die Beine baumeln. Neben ihm glitzerten zwei fette Heringe mit roten Kiemen und silbernen Schuppen, die er aus einem Impuls heraus einem Fischer abgekauft hatte, der gerade seinen Fang auslud. Das Wasser unter seinen Stiefeln war trübgrün, kleine Wellen plätscherten gegen die Mauer. Einige kleine Schiffe, Galeeren und Koggen tanzten an ihren Ankerketten. Eine Galeere wurde mit für England bestimmten Weinfässern beladen, und eine Gruppe von Tempelrittern wartete darauf, dass sie an Bord eines Schiffes gehen konnte, an dessen Mast das Kreuz ihres Ordens wehte. Hugh verfolgte das Treiben mit entspannter Neugier und lauschte den Schreien der Möwen. Dieses Geräusch hatte seinen fiebrigen Schlaf erfüllt, als er in seiner Kammer gelegen hatte, deren Fensterläden offen standen, damit die Meeresbrise seinen brennenden Körper kühlte.
Während des Rückzugs von La Roche-aux-Moines war er schwer krank gewesen und konnte sich kaum im Sattel halten, doch er hatte sich hartnäckig geweigert, sich in einer Sänfte tragen zu lassen. Sowie sie im Hafen angekommen waren, hatten seine um ihn besorgten Männer einen spanischen Arzt zu Rate gezogen. Spanier standen in dem Ruf, die besten Wundärzte überhaupt zu sein. Unter viel Gemurmel hatte der Mann die eiternde, geschwollene Wunde an seiner Hand geöffnet und darin einen Splitter von einer rostigen Klinge entdeckt, als er
sie mit Salzwasser gereinigt hatte. Er sagte, Hugh könne sich glücklich schätzen, dass er eine so kräftige Konstitution habe, und noch glücklicher, jemanden wie ihn gefunden zu haben. Wenn er den Splitter nicht entfernt hätte, hätte sich das Gift in seinem Körper ausgebreitet und schließlich zu seinem Tod geführt. Die Dienste des Arztes hatten Hugh ein Reitpferd gekostet, aber die Wunde heilte jetzt endlich. Fieber und Schwäche waren verschwunden, und er betrachtete ein Pferd als einen geringen Preis für sein Leben.
John hatte einen Boten nach England geschickt und Truppen als Ersatz für die Poiteviner angefordert, doch die spärliche Anzahl der eingetroffenen Soldaten reichte nicht aus, um Louis in die Knie zu zwingen. Die zweite englische Armee in Flandern, die unter Longespees Befehl stand, war jedoch Richtung Paris abmarschiert und bedrohte König Philips Truppen.
Als die Sonne immer heißer auf seinen Nacken zu brennen begann, griff Hugh nach seinem Abendessen, erhob sich und kehrte zu seiner Unterkunft zurück. Am Ende der Mole sah er Hamo Lenveise auf sich zueilen.
»Sir, es gibt Neuigkeiten aus dem Norden!« Lenveise blieb stehen und presste eine Hand gegen seine schmerzende Seite. »Auf der Straße nach Paris hat es bei Bouvines einen Kampf gegeben … die Franzosen haben den Sieg davongetragen!«
Hugh starrte den Ritter an, während die Worte in sein Bewusstsein einsickerten. Er spürte, wie die Schnur, an der die Fische hingen, in seinen Zeige- und Mittelfinger schnitt. »Meine Brüder. Was ist mit meinen Brüdern?«
Lenveise schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht, Sir. Der Bote ist verschwunden. Er sagte, es wäre ein Massaker gewesen. Kaiser Otto ist geflohen, neuntausend Mann liegen tot auf dem Feld.«
Hugh fühlte sich plötzlich so schwach und elend, als litte er
immer noch unter Wundfieber. All das Geld, alle Anstrengungen, all die Gefahren für Leib und Leben, und wofür? Vielleicht lag Ralph jetzt tot auf dem Schlachtfeld, und die Krähen pickten an ihm herum, oder er war ein weiteres Gewirr aus Armen und Beinen, das in ein Massengrab geworfen wurde. Und Longespee … seine Kehle schnürte sich zusammen. Er hatte gedacht, es würde ihn nicht berühren, wenn ihm etwas zustieße, dennoch war die Vorstellung, er könne nicht mehr am Leben sein, unerträglich. Nach all den Reibereien mit ihm konnte er sich nur schwer damit abfinden, dass er plötzlich nicht mehr da war.
Er ging zu seiner Unterkunft und reichte dem schweigsamen Koch die frischen Heringe. Ralph und Longespee. Longespee und Ralph. Er wusch sich die Hände,
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