Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
spritzte sich Wasser ins Gesicht und machte sich auf den Weg zu den königlichen Gemächern in der Burg, um dort weitere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen.
Der offene Karren rumpelte über ein Loch in der Straße. Ralph kniff die verklebten Augen zusammen und unterdrückte ein Stöhnen. Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte, er kam sich vor, als habe ihn jemand auseinandergerissen und wieder ungeschickt zusammengesetzt. Er war mit Schürfwunden und Prellungen übersät, die sowohl von der Schlacht als auch von den Schlägen herrührten, die er hinterher bezogen hatte. Er wusste, dass er immer noch jederzeit getötet werden oder an der schlechten Behandlung sterben konnte, die die Franzosen den Gefangenen angedeihen ließen. Wann er zuletzt gegessen und getrunken hatte, konnte er nicht sagen. Sein Schwert und sein Kettenhemd hatte man ihm abgenommen, ebenso sein Pferd, seine Ausrüstung und sogar seinen Umhang. Er besaß nur noch die zerrissenen, schmutzigen Kleider, die er am Leib trug und die keinen Schutz vor dem Nieselregen boten, der seit
dem Morgen stetig fiel. Als er die Hände hob, um sich das Gesicht abzuwischen, klirrten seine eisernen Fesseln.
Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, wie rasch er sich im entscheidenden Moment ergeben hatte. Er hätte weiterkämpfen sollen, aber er wusste auch, dass er nichts mehr hätte ausrichten können. Der Feind hatte mehr Glück und die bessere Strategie gehabt. Sich zu ergeben war das einzig Vernünftige gewesen, dennoch hinterließ die Kapitulation einen bitteren Nachgeschmack. Nach der Schlacht waren einige Männer, die nicht genug Lösegeld einbrachten, auf der Stelle getötet worden. Ralph war diesem Schicksal entgangen, aber ihm war klar, dass er immer noch in großer Gefahr schwebte. Nach dem, was sich auf dem Schlachtfeld und danach abgespielt hatte, traute er seinen Gegnern jede Grausamkeit zu. Sie konnten ihn durchaus in Paris zur Unterhaltung der Bürger öffentlich aufknüpfen. Dass er Longespees Bruder und der Sohn des Earl of Norfolk war, konnte ihn unter Umständen auch nicht retten. Jüngere Söhne galten nicht viel, und sein Überleben spielte in den Plänen von Königen keine Rolle. Er musste stets mit seinem baldigen Tod rechnen.
Er verlagerte sein Gewicht und versuchte vergeblich, eine bequemere Stellung zu finden. Vom hinteren Teil der Truppe kamen berittene Soldaten auf den Karren zu. Ralphs Magen krampfte sich zusammen, als er unter ihnen Longespee auf einem schönen Rotbraunen entdeckte. Obwohl man auch ihm die Waffen abgenommen hatte, trug er noch seinen kostbaren Umhang mit Pelzsaum und sah so adrett und gepflegt aus wie immer. Ralph zog rasch den Kopf ein, damit sein Halbbruder ihn nicht bemerkte. Eigentlich sollte auch er zur Strafe für sein Versagen auf dem Schlachtfeld zusammen mit den anderen Männern auf dem Karren in ein dunkles Verlies geworfen werden. Longespee scherzte mit seinen Häschern und meinte, wenn
sie ihm nur sein Langschwert zurückgäben, würde er ihnen ein paar ausgeklügelte Hiebkombinationen zeigen. Die Männer stimmten in sein Lachen mit ein, das hohl in Ralphs Ohren klang. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Longespee den Karren passiert hatte. Ralph riskierte es und schielte nach oben. Genau in diesem Augenblick spähte sein Halbbruder in das Gefährt und ließ den Blick über die Gefangenen und Verwundeten schweifen. Ralph duckte sich hastig, aber es war zu spät.
»Dieser Mann dort, der in der zerrissenen Hose, ist mein Verwandter und der Sohn des Earl of Norfolk«, rief Longespee laut. Der belustigte Unterton war aus seiner Stimme verschwunden. »Wer sich um ihn kümmert und dafür sorgt, dass er am Leben bleibt, kann auf ein großzügiges Lösegeld hoffen!«
Ralph versuchte zu schlucken, doch seine Kehle war so ausgedörrt, dass er nur husten und würgen konnte. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Wie aus weiter Ferne hörte er, dass Longespee jemanden bat, ihm Wasser zu geben. Ein harter Rand wurde gegen seine Lippen gepresst, Flüssigkeit rann in seinen Mund. Er schluckte und prustete. Dann wurde er aus dem Karren gezogen und erhielt ein Pferd – einen älteren Klepper mit kaputten Gelenken und einem harten, ungleichmäßigen Gang, der Ralph fast ebensolche Qualen bereitete wie der rumpelnde Karren. Er hieß die Schmerzen als Buße willkommen und murmelte Longespee ein paar Dankesworte zu.
»Dabei habe ich dich schmählich im Stich gelassen«, schloss er.
Sein Halbbruder maß ihn
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