Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
meiner Erinnerung immer Kinder.«
Obwohl der Tag warm war, fröstelte Mahelt plötzlich und wünschte, sie hätte gleichfalls einen Umhang mitgenommen.
Eine Woche später kehrte Hugh aus Poitou zurück. Mahelt empfing ihn mit den restlichen Mitgliedern des Haushalts im Burghof und registrierte erschrocken, wie mager er geworden war. Auch den Pferden merkte man die Strapazen des langen Feldzugs an, ihr Fell war struppig, und die Rippen zeichneten sich ab. Hugh war in scharfem Trab in den Hof geritten, doch sein Schwung hielt nicht an. Die Truppen kamen mit deutlich weniger Männern und Pferden als bei ihrem Aufbruch zurück, und in den Gepäckkarren wurden keine Vorräte mehr, sondern Verwundete transportiert. Hugh stieg ab und begrüßte seinen Vater mit einem Händeschütteln, bevor er sich zu Mahelt wandte. Sie knickste, dann richtete sie sich auf, warf sich in seine Arme und schmiegte sich eng an ihn. Er drückte sie einen Moment an sich und vergrub das Gesicht an ihrem Hals, dann nahm er sich zusammen und trat zu seiner Mutter, um sie behutsam zu umarmen. Während sie ihn beobachtete, schlug eine Welle aus Liebe, Stolz und Kummer über Mahelt zusammen.
Ida klammerte sich an ihn, strich ihm über das Gesicht und das Haar und schluchzte immer wieder:
»Mein Sohn, mein Sohn!« Mahelt begriff in diesem Augenblick, dass Hugh für ihre Schwiegermutter das Symbol für Hoffnung und Überleben darstellte, sein Anblick aber zugleich
ihre innere Qual schürte, weil ihre anderen beiden Söhne nicht mit ihm zurückgekehrt waren.
Hugh löste sich sacht von ihr.
»Mutter, mir fehlt nichts, ich war nicht im Norden. Ralph und Longespee sind am Leben, es geht ihnen gut. Ich habe Briefe von ihnen im Gepäck. Trockne dir die Tränen ab, wir sind alle in Sicherheit.«
»Pa-pa, Pa-pa!« Der kleine Roger vermochte sich nicht länger zu beherrschen, er entwand sich den Armen seiner Kinderfrau und rannte zu seinem Vater hinüber. Hugh fing ihn auf, und sein Sohn nutzte die Gelegenheit sofort, um auf seine Schultern zu klettern. »Ich habe ein neues Schwert! Willst du es sehen? Spielst du mit mir?«
Hugh wollte in seinem ganzen Leben nie wieder ein Schwert sehen, aber das konnte er nicht sagen. In seiner Kindheit war ein neues Schwert immer etwas ganz Besonderes gewesen; er hatte sich dann vorgestellt, er wäre ein erwachsener Mann mit einer richtigen Waffe und würde sich als Krieger auszeichnen. Und als er endlich ein echtes Schwert bekommen hatte, hatte er jeden Tag damit geübt, bis er es so rasch rotieren lassen konnte, dass Heft und Klinge nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. Törichte Taschenspielertricks.
»Natürlich will ich es sehen«, sagte er. »Aber später, nachdem ich mit deinem Großvater und deiner Mutter gesprochen habe.« Nachdem er Roger auf den Boden gestellt hatte, damit er sein Schwert holen konnte, nahm er den strahlenden Hugo hoch, der, im Gegensatz zu seinem großen Bruder, geduldig darauf gewartet hatte, dass er an die Reihe kam. Hugh war zwar froh, wieder zu Hause zu sein, aber die Umarmungen seiner Familie und die hohen, schützenden Mauern Framlinghams lösten in ihm nagende Schuldgefühle aus, weil er hier war und seine Brüder nicht.
Hugh lag auf dem Bett und spielte mit seinem jüngsten Sohn. Roger war mit seinem neuen Schwert davongestürmt und tobte nun mit den anderen Kindern. Einen Moment lang herrschte in der Kammer Ruhe und Frieden. Als die letzte der Badezofen die Tür hinter sich schloss, drehte sich Mahelt zu ihrem Mann um. Sein Haar war noch feucht, trocknete an den Spitzen aber bereits. Diesmal hatte er keine Armee von Flöhen und Läusen mitgebracht und auch nicht vor Schmutz und Schweiß gestarrt. Er verströmte einen schwachen Duft nach Rosenwasser, der sich mit dem des getrockneten Lavendels aus der Truhe vermischte, in der sein frisches Hemd und seine Hose gelegen hatten. Als Mahelt die leuchtend rote Narbe an seinem Handgelenk gesehen hatte, war sie heftig zusammengezuckt. Zwar war sie an den Anblick narbenübersäter Männer gewöhnt, aber selten hatten die, die ihr nahestanden, schwere Verletzungen davongetragen. Von ihrem Vater kannte sie nur eine alte weiße Narbe am Oberschenkel, die er sich lange vor ihrer Geburt zugezogen hatte, aber Hughs frisch verheilte Wunde brachte ihr deutlich zu Bewusstsein, wie leicht sie ihn hätte verlieren können und dass die Nachrichten, die Framlingham erreicht hatten, noch sehr viel schlechter hätten ausfallen
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