Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
beben begannen. Nach einem Moment löste er sich behutsam von seiner Mutter und umarmte Hugh, ein Unterfangen, das wegen des Babys etwas linkisch ausfiel.
»Deine neue Nichte.« Auch Hughs Stimme zitterte. »Heute Morgen geboren.«
Ralph blickte auf das Baby hinab und strich ihm über das Gesicht, nachdem er sich mit dem Ärmel über die Augen gewischt hatte. Die Jungen kamen in die Halle gestürmt, jagten einander und schwangen lauthals brüllend ihre Spielzeugwaffen. Rogers Umhang wehte hinter ihm her, als er so tat, als säße er auf einem Pferd. Hugo hielt sich dicht hinter seinem Bruder.
»Der Kleine trägt ja jetzt richtige Kleider«, stellte Ralph tonlos fest. »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war es noch ein Kittel … und das Baby … mein Gott, an sie war noch gar nicht zu denken…« Erneut überwältigten ihn seine Gefühle, und neue Tränen rannen über sein Gesicht.
Hugh reichte seine Tochter einer Dienstmagd und trug ihr auf, sie zu Mahelt zu bringen. Dann umarmte er Ralph erneut, und diesmal bemerkte er den tiefen, roten Striemen, der um das Handgelenk seines Bruders verlief.
»Herr im Himmel!«
Ralph riss seine Hand weg und blickte sich erschrocken um, aber seine Mutter stand am anderen Ende der Halle und rief nach einem warmen Bad, einer heißen Mahlzeit und frischen Kleidern.
»Sie darf das nicht sehen«, flüsterte er eindringlich. »Nach Longespees Abreise haben sie mich wieder in Ketten gelegt, weil sie dachten, das Lösegeld würde vielleicht doch nicht eintreffen.«
Hugh schüttelte den Kopf.
»Ich wusste gar nicht, dass unser Vater es bezahlt hatte.«
»Meine Wärter erzählten mir, er hätte die Hälfte der Summe geschickt und sich verpflichtet, den Rest im Laufe der nächsten zwei Jahre zu zahlen. Longespee hat dafür gebürgt.« Um Ralphs Lippen zuckte es. »Ich mag ja nur ein jüngerer Sohn sein, aber für die Franzosen scheine ich den Wert eines Earls zu haben.«
»Longespee hat nichts zu der Lösegeldsumme beigetragen?«
Ralph zuckte die Achseln.
»Er konnte es sich nicht leisten.«
»Nein?« Hugh hob verächtlich eine Braue. »Er hätte ja versuchen können, ein paar seiner teuren Umhänge zu verkaufen.«
»Er hat mir das Leben gerettet«, erwiderte Ralph kurz. »Ohne ihn wäre ich gehängt worden.«
Hugh verkniff sich eine bissige Bemerkung. Am Tag der Geburt seiner Tochter und der Rückkehr seines Bruders wollte er keinen Streit.
»Dann danke ich ihm, und ich danke Gott, dass er dich uns sicher und unversehrt zurückgebracht hat«, erwiderte er diplomatisch.
»Wo ist unser Vater?«
»In London.«
»Oh.« Ralph zog die Brauen zusammen. »Während meiner Gefangenschaft hat man mir nur sehr wenig erzählt, aber trotzdem ist mir manches zu Ohren gekommen, und auf der Heimreise habe ich mich mit dem Kapitän meines Schiffes unterhalten. Ich hörte, dass viele Edelleute, darunter auch ihr, sich gegen den König gestellt haben. Vermutlich war das auch einer der Gründe dafür, dass sie mich freigelassen haben. Die Franzosen brauchen Unterstützung, wenn Prinz Louis in England einfällt.«
Die Brüder wechselten einen Blick. Trotz der Abneigung, die sie beide gegen John hegten, war es eine beunruhigende Vorstellung, einem französischen Herrscher den Treueeid schwören zu müssen.
»Longespee hält noch immer zu John«, meinte Hugh. »Gott weiß, warum, nachdem…« Wieder biss er sich auf die Zunge. Gewisse Dinge behielt er besser für sich. »Es ist natürlich deine Entscheidung, und vielleicht fühlst du dich ihm verpflichtet …«
Ralph seufzte tief.
»Ich habe bei Bouvines gegen die Franzosen gekämpft, und jetzt soll ich plötzlich für sie kämpfen …« Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ich weiß einfach nicht, wo ich stehe.«
»Das weiß keiner von uns«, entgegnete Hugh und fügte hinzu: »Aber eines weiß ich – es ist gut, dass du wieder zu Hause bist.«
Ralph lächelte schwach.
»Ich nehme nicht an, dass du meine Wolfsfelle aufgehoben hast?«
Hugh schüttelte den Kopf.
»Das wäre wirklich zu viel verlangt gewesen.«
39
Yorkshire, Januar 1216
Mahelt ritt auf ihrer schwarzen Stute neben Hugh die breite Straße entlang. Sie waren auf dem Rückweg von einem Besuch in Yorkshire. Obwohl es tiefster Winter war, schien die Sonne hell, und über den strahlend blauen Himmel zogen weiße Wölkchen hinweg. Sie genoss den Ritt und die Bewegung an der frischen Luft. Zehn Wochen nach der Geburt ihrer Tochter fühlte sie sich ausgeruht und
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