Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
einen schmalen Stab aus Buchenholz heraus. Er zügelte sein Pferd und rollte den Pergamentstreifen mit äußerster Sorgfalt um den Stab, bis sich eine leserliche Zeile bildete.
»Was steht da?« Mahelts Atem bildete Wölkchen in der kalten Luft. Ralph lenkte sein Pferd an das seines Bruders heran und verrenkte sich den Hals.
Hugh fuhr mit dem Finger an dem Stab entlang und formte mit den Lippen lautlos die Worte.
»Eine siebentausend Mann starke französische Truppe ist an der Mündung des Orwell gelandet, wohin mein Vater sie befohlen hat. Sie marschieren nach London, um uns beizustehen, und Louis trifft gleichfalls schon Vorbereitungen zum Eingreifen. Matthew muss auf dem Weg zu mir gewesen sein, um mir diese Botschaft zu überbringen.«
Mahelt runzelte die Stirn. Sie wusste nicht, ob sie dies als gute oder schlechte Nachricht werten sollte. Je stärker jede Seite aufrüstete, je mehr Grausamkeiten begangen wurden, desto schwieriger würde es werden, Frieden zu schließen.
»Der Zwist eskaliert, nicht wahr?«
»Das war abzusehen«, erwiderte Hugh grimmig. »John hat den Vertrag mit einer Hand unterzeichnet und mit der anderen dem Eid abgeschworen. Es ist ein Rückschlag, dass Rochester gefallen ist, aber wenigstens stärken uns die französischen Truppen den Rücken.« Er schob das Pergament in seinen Beutel und verstaute den Stab wieder in der Satteltasche. »Wir müssen so schnell wie möglich nach Framlingham zurück. Wenn der König und seine Söldner das Land plündern, ist die Burg nicht sicher. Die Wölfe schwärmen rudelweise aus, und das bei Vollmond.«
40
Framlingham, März 1216
Einst, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, hatte Mahelt gekichert, als sie Hugh geholfen hatte, einen Karren mit Wertgegenständen zu beladen, um sie vor König Johns Steuereintreibern zu retten. Doch jetzt, in der Kälte dieses Märzmorgens, weigerte sie sich, auch nur einen Finger krumm zu machen, um die Reichtümer Framlinghams auf Packpferde zu laden und in Karren zu verstauen: Fässer voller Silberpennys und sogar ein paar Beutel mit kostbaren Goldbyzantinern, Seidenballen, Spulen mit Goldfaden, Kästchen voller goldener Ringe und wertvoller Juwelen, silberne Becher und Platten, flämische Wandbehänge und Idas Krone aus Gold und Saphiren. Alle beweglichen Güter Framlinghams wurden in verschiedene Klöster geschafft, deren Patrone die Bigods waren. Ein Teil ging nach London und war für den Earl bestimmt, ein anderer zum Nonnenkloster nach Colne, von wo aus er leicht über das Meer verschifft werden konnte, wenn es zum Äußersten kam. Und noch mehr war für Thetford, Hickling und Sibton bestimmt.
Übelkeit stieg in Mahelt hoch, als Hugh mit seinem persönlichen Schmuckkasten aus ihrer Kammer kam. Den brachte er auch in Sicherheit? Nachdem er Yorkshire und Lincolnshire verwüstet hatte, hatte sich der König wieder gen Süden gewandt. Eine Burg nach der anderen hatte kapituliert. Die Männer schienen zu glauben, dass nach dem Fall Rochesters keine andere Festung den königlichen Truppen standhalten konnte,
und diese Ansicht war zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Aber Framlingham war gut befestigt, hatte eine fähige Garnison und verfügte über genug Vorräte, um eine monatelange Belagerung zu ertragen. Die Verteidigungsanlagen waren zwar noch nie erprobt worden, aber massiv und modern. Warum verhielt sich jeder so, als wäre er davon überzeugt, dass die Burg mühelos eingenommen werden könnte?
»Warum musst du gerade jetzt gehen?«, fragte sie, als er den Kasten auf sein Packpferd schnallte. »Ich verstehe es einfach nicht.«
Hugh zog den Riemen fest und drehte sich zu ihr um, aber obwohl er ihrem Blick nicht auswich, wusste sie, dass er sie bewusst nicht wahrnahm.
»Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Nur ein Narr setzt alles auf eine Karte. Mein Vater meint, es ist besser, unseren Besitz aufzuteilen und zu verschiedenen sicheren Orten zu schaffen, so wie wir es schon einmal getan haben.«
»Und deshalb räumst du Framlingham leer?« Ihre Stimme wurde lauter. »Bis auf das letzte Stück?«
»Ich sagte doch, es ist nur eine Sicherheitsvorkehrung. Meinem Vater gehen in London die Geldmittel aus, deshalb ist es besser, die Reserven dort aufzubewahren. Ich werde nicht lange fortbleiben. In spätestens vier Tagen bin ich wieder da, das verspreche ich dir.«
Mahelt ließ nicht locker, weil sie wusste, dass er nicht aufrichtig zu ihr war.
»Wenn die Dinge so schlimm stehen,
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