Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
unterstützen, bis er uns von unserem Schwur entbindet.« Von Longespees eigener Ehre sprach er nicht. Das musste sein Halbbruder mit seinem Gewissen abmachen.
»Ich werde ein gutes Wort für dich bei dem Marschall einlegen, wenn du das möchtest.«
»Wir können für uns selbst sprechen«, fauchte Hugh, dann seufzte er tief. »Ich bin nicht undankbar, aber du musst deinen Weg gehen und ich den meinen. Es wird eine Zeit kommen, wo über einen Friedensschluss verhandelt werden muss, und beide Seiten werden gute Anwälte brauchen. Das, um was wir gekämpft haben, muss auf Pergament festgehalten und in Gesetze gefasst werden, das ist ebenso wichtig wie der Kampf selbst, weil es unsere Zukunft bestimmt.«
Gemeinsam betraten sie die Kirche und schritten schweigend durch das Hauptschiff zum Altarraum. Hughs Vater hatte sich von seinen Knien erhoben und rückte seinen Hut zurecht. Es
war ein altes, abgetragenes Exemplar, das speckig glänzte, aber die Pfauenfeder war neu.
»Das war immer ihr Lieblingshut«, erklärte der Earl. »Ich habe ihn für sie getragen.«
»Darüber hätte sie sich sicher gefreut«, erwiderte Hugh sanft. Nach einer respektvollen Pause fügte er hinzu: »Willst du nicht mit ins Haus kommen? Dort ist es warm, eine Mahlzeit steht bereit, und Longespee möchte mit dir reden.«
Sein Vater neigte den Kopf, drehte sich aber noch einmal zum Grab um, um seinen Hut neben Mahelts frischen Immergrünkranz zu legen. Dann bekreuzigte und verneigte er sich und verließ die Kirche barhäuptig.
47
London, September 1217
Hugh beobachtete, wie Louis in seiner Kammer im Tower von London auf und ab schritt wie ein schlanker, wütender Löwe. Von seinem für gewöhnlich ausgeglichenen Naturell war nichts mehr zu merken. Nachdem er Ende April mit Verstärkungstruppen nach England zurückgekehrt war, hatte er im Mai in der Schlacht von Lincoln eine verheerende Niederlage hinnehmen müssen, dann war vor vierzehn Tagen eine von Frankreich eintreffende Flotte mit weiteren Truppen an Bord in einer verhängnisvollen Seeschlacht vor der englischen Küste bei Sandwich zerstört und auseinandergetrieben worden. Seine englischen Anhänger desertierten in Scharen, um zu dem jungen König und seinem Regenten William Marshal überzulaufen. Louis blieb nichts anderes übrig, als um Frieden zu bitten.
Hugh hatte die Seiten nicht gewechselt, denn er hatte Louis Loyalität geschworen und fand, ein Mann müsse zu seinem Ehrenwort stehen. Außerdem versetzten ihn seine juristischen Fähigkeiten, seine Kenntnisse der englischen Gesetze und seine Verwandtschaft mit William Marshal in die Lage, bei den Friedensverhandlungen das Beste für sich und seine Familie herauszuschlagen. Hugh hatte weder bei Lincoln noch bei Sandwich gekämpft, sondern seine Zeit in London verbracht, denn er zählte zu den wichtigsten Mitgliedern von Louis’ Verwaltungsapparat.
»Sie haben sich mit ihrer Antwort vier Tage Zeit gelassen«,
sagte Louis wütend, während er voller Verachtung auf die Pergamentbögen auf dem Tisch deutete. »Vier Tage! Und jetzt verlangen sie, dass ich zum Beweis meiner Unterwerfung in meiner Unterkleidung vor ihnen erscheine! Ich werde mich auf eine solche Demütigung nicht einlassen!« Seine Augen sprühten Funken. »Lieber kämpfe ich bis zum Tod! Ihr wolltet mich auf dem Thron sehen, weil Euer König nicht würdig war, die Krone zu tragen, und nun wollt Ihr mich dermaßen erniedrigen, obwohl ich alles versucht habe, Euch zu retten.«
Salomon de Basing, der Bürgermeister von London, rieb sich besorgt die Hände.
»Sire, der Regent wird uns mit seinen Truppen belagern. Wir brauchen Frieden. Wenn wir uns weiterhin weigern, fürchte ich um die Stadt.«
Louis schob die Unterlippe vor.
»Ich werde über einen ehrenvollen Frieden verhandeln, aber ich werde mich weder ergeben noch demütigen lassen, das weiß der Marschall.«
»Was, wenn Ihr einen kostbaren Umhang über Eurer Unterkleidung tragt?«, schlug Hugh vor. »Wer außer denjenigen in Eurer unmittelbaren Nähe würde dann etwas davon erfahren?«
Louis warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.
»Ich würde es wissen«, grollte er und begann erneut, im Zimmer umherzugehen.
Hugh betrachtete die Pergamente. Louis wollte seine Niederlage nicht eingestehen – keiner von ihnen wollte das –, aber sie hatten keine andere Wahl. Wie der Bürgermeister gesagt hatte, befand sich London in einem Blockadezustand, und ihre Lage konnte sich nur verschlechtern. Doch
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