Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
muss.« Er durchbohrte sie mit einem harten Blick. »Was sollen wir mit ihm tun, meine Tochter? Ihn aufhängen?«
Ihre Stimme klang heiser.
»Vielleicht ist er nur aus Versehen hier durchgekommen.«
»Und was hat er vor Tagesanbruch hier zu schaffen?«
In dem darauf folgenden langen, unbehaglichen Schweigen grub Mahelt die Nägel in die Handflächen und überlegte, ob sie gestehen sollte, dass sie ihren Bruder besucht hatte. Sie war fast sicher, dass der Earl alles wusste und dies ihre Strafe war. Sollte sie aufgeben oder weiter leugnen?
»Er trägt die Farben deines Vaters. Bist du sicher, dass du ihn nicht kennst?« Der Earl öffnete seine geballte Faust und zeigte ihr einen kleinen Anhänger aus Emaille mit dem Marshal-Löwen auf vertrautem grün-goldenem Grund.
Ihre Knie gaben fast unter ihr nach.
»Er mag zum Haushalt meines Vaters gehören, aber ich kenne nicht alle seine Diener«, entgegnete sie schwach.
Die Oberlippe des Earls kräuselte sich.
»Wir finden es so oder so heraus. Ich muss nur dem König schreiben, dass wir diesen Mann dabei ertappt haben, wie er sich unbefugt auf dem Burggelände aufgehalten hat.«
Mahelts Augen weiteten sich.
»Nein!«
»Aha. Du kennst ihn also doch.«
Mahelt senkte den Kopf, wich dem Raubvogelblick des Earls aus und nickte unmerklich.
»Was hast du mit ihm zu schaffen? Ich will es wissen.« Seine Stimme gehorchte ihm kaum noch. »Bei Gott, ich werde erfahren, was in meinem Haus vor sich geht!«
»Ich wollte nur meinen Bruder treffen«, flüsterte Mahelt. »Ich habe ihn so lange nicht gesehen.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Es war meine einzige Chance. Ich musste wissen, ob es ihm gut geht.«
»Und deshalb hast du dich über mein Verbot hinweggesetzt«, fuhr Roger sie an. »Du bist über die Mauer geklettert. Du hast dein moralisches und physisches Wohl in Gefahr gebracht. Aber unentschuldbar ist, dass du die Sicherheit dieses Hauses gefährdet hast. Das werde ich nicht dulden.«
Mahelt war noch nie zuvor so scharf zurechtgewiesen worden. Vor ihrer Heirat war sie der allgemeine Liebling, die bevorzugte Tochter gewesen. Ihr Herz hämmerte. Sie war verängstigt, in die Enge getrieben und sehr wütend.
»Er ist mein Bruder«, wiederholte sie.
»Das ist richtig, und du wirst eine angemessene Gelegenheit bekommen, ihn zu sehen – eine Gelegenheit, die keine verantwortungslosen nächtlichen Eskapaden erfordert. Und jetzt gehst du und bringst mir das, worum es bei der ganzen Sache ging.«
Mahelt brachte kaum noch einen Ton heraus.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint.«
»Dann wird ein Blick in deine Matratze dein Gedächtnis auffrischen. Ich lasse mich nicht zum Narren halten. Hamo, geh mit ihr.« Er winkte einem seiner Ritter.
Mahelt wankte hinaus. Mit dem hartgesichtigen Ritter an ihrer Seite bestand keine Hoffnung, das Pergament verschwinden zu lassen oder es zu vernichten, und da ihr Schwiegervater von seiner Existzenz wusste, war er ihr in diesem Spiel ohnehin einen Schritt voraus. Als sie ihre Kammer betrat, war Edeva noch dort, und Mahelt wusste augenblicklich, wer die Schuldige war.
»Ich musste es ihm sagen, Mylady«, weinte Edeva händeringend. »Ich hatte solche Angst um Euch …«
Mahelt erwiderte nichts darauf, denn sie war so von heißer Wut und Entsetzen erfüllt, dass es ihr unmöglich war, mit Edeva auch nur ein Wort zu wechseln. Als sie unter Hamos wachsamen Augen das gefaltete Pergament aus der Matratze zog, wäre sie am liebsten gestorben. Ihr Bruder hatte ihr vertraut, und sie hatte sich dieses Vertrauens nicht würdig erwiesen. Wäre die Leiter noch da gewesen, hätte sie sie erneut über die Mauer geworfen und wäre geflüchtet. So zog sie sich in sich selbst zurück, und es war, als schritte eine Fremde die Treppe hinunter, beträte die Kammer und reiche dem wartenden Mann das Pergament, während sie selbst voller Scham und Ärger aus einiger Entfernung zusah.
Der Earl las die Botschaft mit unbewegter Miene.
»Das wirft kein gutes Licht auf deinen Bruder und auf seine Loyalität«, stellte er eisig fest. »Oder auf deine.« Er presste die Lippen zusammen. »Du musst lernen, auf welcher Seite du zu stehen und wessen Interessen du zu dienen hast, meine Tochter. Nicht denen deines Bruders und nicht denen deiner Familie. Du bist dem Blut verpflichtet, in das du eingeheiratet hast. Solange du unter diesem Dach lebst, gilt deine Loyalität einzig und allein dem Namen Bigod. Ist das klar?«
Mahelt knirschte mit den
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