Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
zu sein.«
Mahelt schnappte nach Luft.
»Das ist ungerecht!«
»Nein.« Ida hob eine Hand. »Der Earl befindet sich im Recht – und was immer du von ihm denken magst, ungerecht ist er nicht.«
Mahelt war anderer Meinung, schwieg aber.
Ida holte tief Atem.
»Ich weiß, dass du nicht gerne nähst, aber du hast ein Talent, andere zu beaufsichtigen und anzuleiten, und du verfügst über eine scheinbar unerschöpfliche Energie. Es ist nur recht und billig, dass du nun, wo du schon eine Weile hier bist, mehr Pflichten übernimmst. Der Earl meint, so gewöhnst du dich am besten an das Alltagsleben. Ich hätte dir schon früher mehr Aufgaben übertragen sollen, aber ich wollte dich nicht zu früh
in die Rolle einer Ehefrau drängen. Jetzt sehe ich ein, dass das falsch war.«
Mahelt reagierte gekränkt.
»Ich kann durchaus Verantwortung übernehmen.«
Ida hob die Brauen.
»Nachts über die Mauer zu klettern ist wohl kaum ein Zeichen von Reife, auch wenn du der Meinung warst, das Richtige zu tun. Es wird Zeit, dass du lernst, wo dein Platz in diesem Haus ist und was von dir erwartet wird.« Ihre Schwiegermutter betonte die letzten Worte. »Ich weiß, wie sehr es dich belastet, deine Familie so weit von dir entfernt zu wissen und dass deine Brüder nach Lust und Laune des Königs kreuz und quer durch das Land geschickt werden, aber dein Leben spielt sich jetzt hier ab, und du musst lernen, dich an unsere Regeln zu halten.«
»Ja, Mutter«, erwiderte Mahelt verdrossen.
»Komm.« Ida legte ihre Näharbeit beiseite und erhob sich. »Wir kehren morgen nach Framlingham zurück und müssen noch packen. Zeig mir, wie verantwortungsbewusst du wirklich bist.«
Resigniert folgte Mahelt ihr zu den Gepäcktruhen in einer Ecke des Zimmers.
»Sowie wir zurück sind, wirst du auf Wunsch meines Mannes das Einlagern der Äpfel und die Ciderherstellung überwachen«, sagte Ida, als sie den Deckel der ersten Truhe aufklappte. »Das war normalerweise meine Aufgabe, aber jetzt bist du dafür zuständig – von Anfang bis Ende.«
»Ja, Mutter«, bestätigte Mahelt pflichtgetreu. Sich um die Lagerung der Äpfel zu kümmern war vermutlich immer noch besser, als einen Berg Näharbeiten zugeteilt zu bekommen, aber nichtsdestotrotz im Vergleich zu dem Überlebenskampf ihrer Familie eine banale, alltägliche Tätigkeit.
15
Wald von Thetford, Oktober 1207
Hugh legte seinen Umhang um, fuhr mit den Fingern durch sein schlafzerzaustes Haar, schob die Zeltklappe zurück und trat in den Herbstmorgen hinaus. Von den Lagerfeuern stieg Rauch auf, und seine Gefährten erwachten nach den Ausschweifungen des gestrigen Abends mühsam wieder zum Leben. Hugh hatte Kopfschmerzen und einen schlechten Geschmack im Mund, hielt dies jedoch für einen geringen Preis für das vorangegangene vergnügliche Zusammensein.
Sein Bruder William und sein Schwager Ranulf nahmen, sich die Köpfe haltend, am Feuer Platz, verzehrten Brot und kalte Würste und tranken dünnes englisches Ale dazu. Hugh gesellte sich zu ihnen und zog William spielerisch den Hut über die Augen.
»Das war ein gelungener Abend, nicht wahr?« Er blickte zu den Jägern hinüber, die die erlegten Hirsche auf die Packpferde luden. Reichlich Wildbret für die Tafel und die Räucherkammer, dachte er. Zudem hatten die Hunde noch einige Hasen getötet.
»Ich denke schon – soweit ich mich daran erinnere.« Ranulf schnitt eine theatralische Grimasse und kniff die hellgrünen Augen zusammen, weil ihn die Morgensonne blendete. »Marie sagt, du übst einen schlechten Einfluss auf mich aus. Du verleitest mich dazu, vom rechten Weg abzuweichen.«
Hugh lachte.
»Das sieht meiner Schwester ähnlich. Aber du bist ganz allein imstande, vom Weg der Tugend abzuweichen, dazu brauchst du mich nicht.«
Ranulf schnaubte und vollführte eine rüde Geste, dann blickte er auf, als ein Bote ins Lager ritt.
»Jetzt gibt’s Ärger«, stellte er fest.
Stirnrunzelnd und sich fragend, was so wichtig sein mochte, dass es nicht warten konnte, ging Hugh zu dem Mann und nahm das zusammengefaltete Pergament entgegen, das dieser aus seinem Ranzen zog. Es trug das Siegel seines Vaters, und das Bild in dem Wachs schien von einer entschlossenen, wenn nicht gar zornigen Hand hineingedrückt worden zu sein. Mit einem flauen Gefühl im Magen erbrach er das Siegel, öffnete den Brief und begann zu lesen. Die Worte auf dem Pergament versetzten ihn in immer größere Anspannung, bis er es nicht mehr aushielt und
Weitere Kostenlose Bücher