Die englische Rose
Francesca daran, dass die Aborigines wunderschöne Tänze aufführten. Über ihnen flogen Tausende von Vögeln, und aus den Bäumen erklang ihr Gesang.
Überall sah man Kängurus in den unterschiedlichsten Größen. Es war ein faszinierender Anblick, wenn sie über die Ebenen hüpften oder regungslos am Wasser standen und mit gespitzten Ohren Witterung aufnahmen. Grant achtete darauf, dass sie die ganze Zeit im Schatten ritten, und folgte den baumgesäumten Bächen, wo es nach Akazien und Lilien duftete. An einem der vielen Wasserlöcher entdeckten sie unzählige Wasservögel in zum Teil bund schillernden Farben, darunter einige Kraniche, die zwischen den Seerosen nach Fischen suchten. Francesca, die die Natur über alles liebte, war verzaubert und dachte einmal mehr, dass der Busch voller Magie war. In ihr floss das Blut ihrer Mutter.
Als sie Myora erreichten, herrschte eine knisternde Spannung, wie es Francesca schien. Da die Landschaft so flach war, wirkte selbst die kleinste Erhebung umso beeindruckender. Als sie Myora heute aus der Luft gesehen hatte, hatte der untere Teil des Hügels in blauem Dunst gelegen. In alle Himmelsrichtungen erstreckte sich die endlose Ebene. In fruchtbaren Jahren blühten dort Tausende von wilden Blumen, doch selbst in Trockenzeiten war es ein überwältigender Anblick.
“Du genießt es, nicht?”, fragte Grant zufrieden, während er Ausschau nach allem hielt, das Francesca Angst machen könnte – ein großer Goanna, die größte Echsenart in Australien, ein Dingo auf Beutezug, Echsen, die wie der Blitz aus dem Nichts auftauchten, aber harmlos waren, oder gar eine Schlange an einem Busch.
“Das ist ein ganz besonderer Ort”, flüsterte Francesca und beobachtete, wie Grant die Pferde an einem großen umgestürzten Baumstamm festband, der wie eine Skulptur aussah. “Hier solltest du dein Haus bauen. Mitten in der Ebene, mit dem Myora im Hintergrund. Es muss ein überwältigender Anblick sein, wenn hier alles blüht. Bis jetzt habe ich es immer verpasst.”
“Du musst mal zum richtigen Zeitpunkt kommen.” Er schaffte es, einen lässigen Tonfall anzuschlagen, obwohl er einen schmerzhaften Stich verspürte. “Blumen, so weit das Auge reicht. Auf den Gräbern der Pioniere. Auf den Gräbern der verschollenen Entdecker. Der Duft ist betörend. Letztes Jahr nach den Regenfällen im Winter hat es hier in allen Farben geblüht. Zur Trockenzeit kann man sich nicht vorstellen, dass die Blumen je wieder zum Vorschein kommen. Aber das werden sie.”
“Ein Wunder”, meinte sie leise, noch immer mitgenommen, weil er ganz selbstverständlich davon ausging, dass sie wieder abreisen würde.
Grant kam auf sie zu. Er war groß und beeindruckend. “Ja, so sieht es aus. Man hat das Phänomen erforscht. Offenbar enthalten die Samen der Wüstenblumen chemische Substanzen, die sie erst zum optimalen Zeitpunkt keimen lassen. Das heißt, ein kurzer Regenschauer reicht noch nicht.” Grant deutete auf den Hügel.
“Auch auf Myora sieht man dann wunderschöne Blumen, deren Samen der Wind dorthin geweht hat. Komm.” Er nahm ihre Hand. “Ich will dir etwas zeigen. Etwas, worüber wir auf Opal Plains kaum reden.”
“Das klingt ja aufregend. Was ist es denn?” Sie blickte in sein gebräuntes Gesicht. Seine blauen Augen waren vom Rand seines Akubra beschattet.
“Alles zu seiner Zeit.” Grant blieb stehen und umfasste ihr Kinn. “Verdammt, bist du schön!” Das hatte er nicht sagen wollen, es war ihm so herausgerutscht.
“Ich bin glücklich”, erklärte Francesca.
“Ich möchte auch, dass du glücklich bist”, sagte er leise, allerdings mit einem harten Unterton. “Lass uns nach oben gehen.” Er zog sie mit. “Es ist nicht weit, und man hat eine fantastische Aussicht.”
Trotz allem verspürte sie plötzlich ein Hochgefühl, das ihr Flügel verlieh. Leichtfüßig kletterte sie den felsigen Abhang hoch.
“Ist das schön!”, rief sie, als sie oben angekommen waren.
“Atme langsam durch”, riet er, wohl wissend, dass er übertrieben fürsorglich war.
“Ich bin nicht außer Atem.” Francesca schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
“Stimmt”, räumte er ein.
“Es ist alles so weitläufig.” Sie wandte sich ab und hob die Arme. “Einfach überwältigend. Ich liebe die Farben im Outback. Obwohl sie so gedämpft sind, scheinen sie zu flimmern. Und der Himmel ist so blau. Keine einzige Wolke in Sicht. Und die roten Sanddünen am Horizont … Die europäischen Entdecker
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