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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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wahrscheinlich noch anderes Zeug. Zu Hause erledigten wir unser Geschäft über einem Rost in einiger Entfernung von der Enklave. Der Gestank dort war ähnlich widerlich wie hier, und ich verstand.
    Bleich ging nach draußen und ließ mich allein. Ich passte auf, ja nichts anzufassen, dann ging ich wieder hinaus und überließ ihm den Waschraum. Es war seltsam, ein Echo dessen zu sehen, wie die Menschen einmal gelebt hatten.

    Die andere Tür ließ sich kein bisschen bewegen, egal wie sehr wir auch daran zogen oder uns dagegenstemmten, also nahmen wir die Ecke zwischen den beiden Türen, so weit entfernt von der Plattformkante wie möglich. Ich aß noch etwas getrocknetes Fleisch und trank ein paar Schluck Wasser. Glücklicherweise war es so kühl, dass wir nicht viel Flüssigkeit durch Schwitzen verloren.
    »Ich übernehme die erste Wache.«
    Bleich hatte nichts dagegen. »Dann wirst du das hier brauchen. « Er machte seine Armbanduhr los und gab sie mir.
    Das Leder war warm von seiner Haut. Ich spürte es unwillkürlich, als ich mir das Ding ums Handgelenk wickelte. Das Armband war nicht schwer zu schließen; jetzt konnte auch ich die Zeit verfolgen.
    »Danke.«
    »Weck mich in vier Stunden. Das sind vier Umdrehungen.«
    Durch gefletschte Zähne erwiderte ich: »Ich bin kein Idiot. Ich kann die Uhr lesen.«
    Auch wenn zu Hause in der Enklave Zwirn dafür zuständig war, die Zeit im Auge zu behalten und zu den wichtigen Stunden die Glocke zu schlagen – zur Essenszeit, zu Schichtende und -anfang –, wusste ich, wie das geht. So was lernte man in der Balgschule, zwischen den eigentlichen Kursen. Von drei bis acht bekamen wir Grundlagenunterricht, von acht bis fünfzehn wurden wir für unsere speziellen Aufgaben ausgebildet. Aber vielleicht wusste Bleich das nicht. Er war erst sehr spät zu uns gestoßen und hatte schon bald danach seinen Namen bekommen. Wahrscheinlich hatte er nicht viel Zeit mit den jungen Bälgern verbracht.
    »Ich habe nie gesagt, dass du ein Idiot bist.«

    »Aber du glaubst es anscheinend.« Die Worte kamen einfach so aus mir heraus. Ich wollte keinen Streit mit ihm. Hier draußen, wo wir ganz allein waren, wäre das das Gegenteil von klug gewesen. Vielleicht war ich doch ein Idiot.
    »Nein«, sagte er leise. »Sie haben dir nur beigebracht, falsch zu denken.«
    Und schon waren wir wieder bei dem blinden Balg. Ich sah es in seinen Augen: Er dachte, ich hätte etwas tun sollen, als sie ihn uns wegnahmen. Aber er hatte auch keinen Finger gerührt. Ich schluckte die Antwort hinunter, die mir spontan einfiel, und sagte stattdessen: »Du kannst ja deine eigene Meinung haben. Aber pass auf, dass sie dir bei deinem Job nicht in die Quere kommt.«
    Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Spielst du da auf etwas an?«
    »Tu ich das?«
    »Das weißt du ganz genau. Du glaubst, ich hab meinen letzten Partner verrecken lassen, weil er anderer Meinung war als ich. Und trotzdem bist du hier. Allein. Mit mir.« Seine schwarzen Augen funkelten bösartig.
    Nein . Das glaubte ich nicht. Wenn selbst der Tod eines nutzlosen Balgs ihn belastete, dann würde Bleich niemals einen Jäger sterben lassen, wenn er es verhindern konnte. Es konnte nicht seine Schuld gewesen sein; wahrscheinlich war schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte, oder sein Partner hatte einen Fehler gemacht.
    »Ich befolge nur Befehle«, sagte ich zurückhaltend. »Außerdem … Nein, das hab ich nicht gemeint. Ich bin mir sicher, dass du alles getan hast, um ihn zu retten.«
    Das brachte ihn für eine gute Minute zum Schweigen. Ich
wusste das so genau, weil ich seine Uhr hatte und ganz fasziniert war von der Bewegung dieser dünnen kleinen Linie. Es war so still, dass ich das leise Ticken hörte. Es erinnerte mich an einen Herzschlag.
    »Da bist du die Einzige. Nicht einmal Seide glaubt das.« Für einen Moment spürte ich, wie allein er war, von allen geächtet. Er war aus dem Nirgendwo gekommen; niemand wusste etwas über ihn. Und er strengte sich auch noch richtig an, um die anderen auf Distanz zu halten und sie zu verunsichern.
    Und dann verspürte ich Schmerz. Bis ich zum ersten Mal zu spät zur Besprechung gekommen war und meine Befehle missachtet hatte, hatte ich geglaubt, Seide würde mich mögen. Sie hatte einiges getan, um meine Ausbildung zu beschleunigen, und mir gesagt, ich würde eines Tages eine fantastische Jägerin werden. Aber warum hatte sie mich mit Bleich zusammengesteckt, wenn sie glaubte, dass er etwas mit dem Tod seines

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