Die Enklave
gediehen,
und manchmal starben die scheinbar Zähen und Kräftigen einfach im Schlaf. Es ergab nicht den geringsten Sinn.
»Vielleicht hat die Krankheit dich stärker gemacht«, dachte ich laut nach.
»Das hat sie.« Tegan rollte sich auf die Seite und schaute mich mit funkelnden Augen an. »Und deshalb werde ich diese Frau im Auge behalten. Ich werde niemandem mehr die Chance geben, mir Schaden zuzufügen.«
Ich war froh, dass Tegan das gesagt hatte. Jetzt war ich den unangenehmen Verdacht los, dass ich Pearl vielleicht nur deshalb nicht mochte, weil sie mehr über Bleich wusste als ich. Wir hörten ihrem Gespräch weiter zu, bis Tegan die Augen zufielen, nur ich fand einfach keinen Schlaf. Ich wartete darauf, dass etwas passierte – etwas Schlechtes –, und diese Anspannung hielt mich fest in ihrem Griff.
Schließlich schlief ich doch ein.
Und als ich erwachte, merkte ich, dass wir Pearl zu Recht misstraut hatten. Ich hörte ihre Stimme aus dem Nebenraum; wahrscheinlich ahnte sie nicht, dass ich bereits wach war.
»Du kannst natürlich so lange bleiben, wie du willst, um der alten Zeiten willen. Aber ich habe nicht genug zu essen, um deine beiden Freundinnen durchzufüttern. Tut mir leid.«
»Mach dir keine Sorgen, wir bleiben nicht lange. Ich muss nur noch die alten Karten fertig durchsehen«, hörte ich Bleich sagen.
Also arbeitete er bereits daran, die Bibliothek zu finden. Gut. Ich wollte mich gerade aufsetzen, aber bei Pearls nächsten Worten erstarrte ich.
»Ich wünschte, du würdest nicht gehen«, sagte sie leise.
»Ich hab so oft an dich gedacht. Und ich bin mir sicher, dein Vater würde auch nicht wollen, dass du mich allein lässt.«
Etwas an ihr war eigenartig, falsch , und das nicht nur, weil sie versuchte, Bleich davon zu überzeugen, mich wegzuschicken. Vielleicht war sie von dem vielen Alleinsein verrückt geworden. Mir gefiel nicht, wie sie Bleich ansah.
Seine Stimme war sanft, fast beschwörend. »Du bist all die Jahre gut zurechtgekommen. Zwei schafft es ohne mich nicht.«
Ich biss mir auf die Zunge. Ich wollte nicht, dass er nur aus Mitleid bei mir blieb. Was Tegan von Oben wusste, zusammen mit meiner Kampferfahrung, würde wahrscheinlich reichen, auch ohne Bleich. Beinahe hätte ich es laut gesagt, aber dann hätte ich zugeben müssen, dass ich heimlich gelauscht hatte.
»Dass ich in Sicherheit bin, heißt nicht, dass es mir gut geht. Ich bin einsam , Simeon.«
»Nenn mich nicht so«, erwiderte Bleich. »Simeon ist dort unten in der Dunkelheit gestorben. Und vielleicht … was ich eigentlich gemeint habe, war, dass ich Zwei nicht allein lassen will .«
Was? Wieder begann mein Herz zu rasen, als hätte ich Angst, aber dieses Gefühl war weit angenehmer und wärmer als Angst.
»Ich verstehe.« Ihre Stimme wurde kalt und hart, als wollte sie ihren Schmerz verbergen – oder etwas Schlimmeres. »Dann geht, wenn ihr so weit seid.«
»Ich bin fertig. Danke für deine Gastfreundschaft und dass ich die Karten deines Vaters benutzen durfte.«
Ich setzte mich auf und schüttelte Tegan sanft. Ihr Haar
rutschte über ihr Gesicht und ließ sie noch jünger aussehen, zu jung für das, was sie bei den Gangs erdulden musste. Auch wenn es mit ihr vielleicht nie genauso werden würde wie mit Stein oder Fingerhut, wusste ich, dass wir enge Freunde werden würden.
»Ich glaube, wir haben unseren Aufenthalt hier überstanden«, sagte ich leise.
Tegan schaute mich an und flüsterte: »Hast du gehört, was er gesagt hat?«
Ich nickte stumm, und als Tegan mich anlächelte, fühlte ich mich geschmeichelt und albern zugleich. Es sollte mir egal sein, dass Bleich sich für mich entschieden hatte … aber das war es mir nicht. Und Tegans Gesichtsausdruck nach zu schließen, wusste sie das. Ich fragte mich, wie es kam, dass sie uns vertraute, wenn auch nur ein wenig. Vielleicht vertraute sie wie Jengu niemandem ganz, und wir waren zumindest besser als alles andere, was sie seit dem Tod ihrer Familie kennengelernt hatte.
Als Bleich aus dem Nebenraum hereinkam, waren Tegan und ich bereit zum Aufbruch. Wir fanden beide höfliche Worte, um uns von Pearl zu verabschieden, aber sie wollte nur, dass wir verschwanden. Bestimmt fühlte sie sich von Bleich zurückgewiesen, aber sie hatte auch nicht lange Nächte mit ihm in den Tunneln ausgeharrt und ihm den Rücken freigehalten, als blutdurstige Freaks ihn fressen wollten. Das Einzige, was sie zu bieten hatte, waren Karten, und die brauchte er jetzt nicht
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