Die Enklave
heraufbeschworen. Oder vielleicht brannte er jetzt, da wir hier waren, einfach darauf, die Geheimnisse zu entdecken, die in diesem Gebäude verborgen lagen. Mir ging es zumindest so.
Die Eingangstüren waren zerstört. Anscheinend hatte jemand unbedingt hineingelangen wollen, aber wir fanden keine Farbmarkierungen an den Wänden, also war das hier kein Gangterritorium – eine willkommene Erholungspause für uns. Aus der Kühle der Nacht traten wir in die dunkle Stille im Inneren. Überall konnte ich Bücher erkennen; manche standen noch in den riesigen Regalwänden, aber die meisten lagen herausgerissen und zerfetzt am Boden, als hätten wilde Tiere sich darüber hergemacht. Ein bestimmter Geruch sagte mir, dass manche von ihnen vielleicht immer noch hier drinnen lebten.
»Wir müssen warten, bis es hell ist, damit wir irgendetwas lesen können«, sagte Bleich.
Ich nickte. »Aber sollten wir das Gebäude nicht durchsuchen, solange wir warten?«
Tegan erschauerte. »Ich finde den Gedanken, dass etwas mit uns hier drin sein könnte, unerträglich.«
»Besser etwas als jemand «, sagte ich murmelnd und musste an Pirscher denken.
»Du hast recht. Wir sollten uns ein bisschen umsehen.« Bleich verschwand bereits in der Dunkelheit, er rannte beinahe. Wahrscheinlich kam ihm dieser Ort vor wie ein wahres Wunder. Als wir das alte Buch fanden, war er außer sich gewesen vor Freude, und hier musste es unendlich viele davon geben.
Es hatte keinen Sinn, bei den Eingangstüren sitzen zu bleiben, bis die Sonne aufging. Jetzt, da sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, merkte ich, dass es hier drinnen mehr Licht gab als in den Tunneln. Durch die Fenster tröpfelte es herein und malte rechteckige, silberfarbene Muster auf den staubigen Boden. Meine Schuhe hinterließen deutlich sichtbare Abdrücke, und ich fühlte mich unbehaglich. Hier oben war es viel zu leicht, uns zu verfolgen.
Ich sagte mir, dass ich mir deshalb keine Sorgen zu machen brauchte, und ließ mich von der Erhabenheit des Ortes gefangennehmen. Was musste das für eine Welt gewesen sein, in der Bücher in einem Haus untergebracht waren, wie ich für Menschen noch nie eines gesehen hatte. Auch die Pflanzen hatten es hier herein geschafft, brachen überall durch den steinernen Boden und breiteten sich ungehindert aus.
»Wir werden Stunden brauchen, um das ganze Gebäude abzusuchen«, sagte Tegan.
Bleich grinste. »Bis dahin ist es hell.«
Wir gingen gewundene Treppen hinauf und erforschten jede
Ebene. Je höher wir kamen, desto angespannter wurde ich. Noch nie war ich so weit oben gewesen. Ich hörte, wie mein Puls immer lauter in meinen Ohren hämmerte, und wäre wohl kaum eine Hilfe gewesen, wenn wir auf irgendetwas anderes gestoßen wären als Vögel oder anderes kleines Getier.
Die hohen Decken und endlosen Regalreihen warfen interessante Schatten, während wir durch große offene Räume mit unzähligen Tischen darin wanderten; nur ab und zu versperrte uns eine verschlossene Tür den Weg. Wer auch immer die Eingangstüren zerstört hatte, hatte die Spur der Verwüstung nicht bis ins Herz der Bibliothek getragen. Ich hörte, wie Flügel flatterten und winzig kleine Krallen über den Boden kratzten, sonst nichts. Wäre mir der Sinn danach gestanden, dies wäre der geeignete Ort gewesen, um Fallen für frisches Fleisch aufzustellen.
Als Bleich endlich sagte, der Ort sei sicher, war ich bereits müde. Sonnenlicht mühte sich durch die dreckigen Fenster. Die meisten waren zersprungen, obwohl dieser Teil des Gebäudes eigentlich zu den weniger beschädigten gehörte – der Zahn der Zeit hatte seinen Tribut gefordert.
»Was ist hier passiert?«, fragte ich laut.
Tegan legte mir eine Hand auf die Schulter. »Das werden wir jetzt herausfinden.«
Wir machten uns auf den Weg zurück zur untersten Ebene. Dort fühlte ich mich sicherer, aber das war nicht der Grund, warum ich der Meinung war, wir sollten unten beginnen. Es schien mir logisch, an den Eingängen anzufangen und uns von dort aus systematisch weiter vorzuarbeiten. Andernfalls hätten sich unsere Wege vielleicht überkreuzt, und wir hätten dieselben Räume mehrmals abgesucht.
Was wir in der Nähe des Eingangs fanden, war die ganze Zeit über Wind und Regen ausgesetzt gewesen und deshalb unbrauchbar. Es war nass geworden, hatte Falten geworfen und war wieder getrocknet. Die Buchstaben darauf waren nicht mehr zu entziffern, und viele der Bücher, die wir aufhoben, zerfielen in unseren
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