Die Entdeckung der Currywurst
Beutefeuerzeug, sagt Lammers. Ja, sagt sie, kommt aus der Normandie, ein Geschenk. Lammers versucht die Inschrift zu entziffern. Ist kein Französisch, sagt er. Natürlich nicht. Polnisch? Weiß nicht. Gut riecht es hier. Ja. Fleisch? Fleisch! Sie sieht diesen hungrigen Altmännerblick, voller Mißtrauen, aber auch eine Gier, der verkniffene, geschlechtslose Mund arbeitet gegen die Speichelflut. Sie rührt in dem Topf mit den Kutteln. Ich habe doch Stimmen gehört, sagt Lammers. Ist Ihr Sohn da? Wieso, sagt sie, der ist doch bei der Flak, im Ruhrgebiet, das heißt, er wird in Gefangenschaft sein. Der Ruhrkessel hat ja kapituliert.
Natürlich merkte er, daß sie ihn aus der Reserve locken wollte, wie sie ihm Namen nannte, Normandie, Ruhrkessel, verlorene Schlachten, aber eben diese Haltung war es ja, die zu den verlorenen Schlachten führte, diese Haltung: Kamerad schieß du, ich hol Verpflegung, all diese kritischen, zweifelnden, zersetzenden Reden. Schludrigkeit überall, in den Fabriken, an der Front, auch an der Heimatfront. Zersetzende Witze: Was ist der Unterschied zwischen der Sonne und dem Führer? Die Sonne geht im Osten auf, der Führer geht im Osten unter. Dämliche Witze. Granaten, die nicht explodierten, Fehlläufer bei den Torpedos. Die gewöhnliche, alltägliche Sabotage an der Heimatfront, auch in der nächsten Umgebung des Führers, die dazu geführt hatte, daß der Feind hier im eigenen Land stand.
Lammers tapste zum Fenster, untersuchte das Verdunkelungsrollo, zupfte daran, sagte, hier ist doch ein Riß drin, da dringt doch Licht durch. So was können die Terrorbomber orten. Geht doch gar nicht. Wieso? Gibt doch kaum noch Strom. Dann bückte er sich, sah unter den Küchentisch. Was suchen Sie denn? Im Haus, sagte Lammers, hätten sich Leute beschwert. Worüber? Schreie, nachts! Er sah sie an. Sie dachte: Hoffentlich werd ich nicht rot, aber natürlich wurde sie rot, ich spür es, dachte sie, eine aus dem ganzen Körper aufsteigende flammende Hitze, alles Blut sammelt sich im Gesicht an. Warum? Ich schlafe schlecht. Wache nachts auf, sitze im Bett und schreie. Is doch kein Wunder, sagte sie, die Engländer stehen vor der Stadt. Was wollen Sie damit sagen, fragte Lammers. Wieso ich? Steht doch in der Zeitung, hier, Sie können den Frontverlauf sehen. Sie hielt ihm die Zeitung hin. Bremer sah die Schnürstiefel aus der Küche kommen, die Gamaschen, den Militärmantel, näher, näher, bis er nur noch Grau sah, dann wieder das Koppel, den Stahlhelm, die Schnürstiefel. Lammers bückte sich im Flur über die drei mit Sand gefüllten Eimer. Haben Sie Zweifel, daß die Stadt sich verteidigt, fragte er. Nein. Hab erst heute die Rede von Gauredner Grün gehört. Lammers ging ins Wohnzimmer, ins Schlafzimmer, als er sich dort niederkniete – etwas mühevoll erst auf das eine, dann auf das andere Knie niederließ, um unter das Bett zu blicken – sagte Lena Brücker, jetzt reichts, da muß keine Feuerpatsche liegen und auch kein Sand.
So, sagte er, ich werde dafür sorgen, daß Sie Einquartierung bekommen. Zwei Zimmer, eine Küche für eine Person, und draußen liegen Tausende von Volksgenossen auf der Straße, Flüchtlinge, Ausgebombte.
Wollen Sie damit sagen, der Führer hat den Krieg nicht erfolgreich geführt? Er zögerte, er merkte, da war eine Falle aufgebaut, in die er hineintappen sollte.
Falls Ihr Sohn da ist, melden Sie das besser der Polizei. Sonst tue ichs. Und dann sind Sie beide dran. Lammers hinkte wieder über den Flur. Es riecht so. Bremer sah ihn im Flur stehen und schnüffeln. Ein Geruch nach Leder, nach Kommiß. Den Geruch kenne ich als alter Soldat.
Raus, sagte Lena Brücker, sofort raus, aber dalli. Sie warf die Wohnungstür hinter ihm zu, traf noch die Hacke seines orthopädischen Stiefels. Sie lehnte sich einen Moment an die Tür, hörte, wie er die Treppe hinuntertappte, schimpfend, aber sie konnte nur einzelne Worte verstehen: Sperrfeuer, Kyffhäuser, Verdun, Hammelbeine langziehen. Sie dachte, jetzt isses aus, der geht zur Gestapo, der zeigt dich an, sagt, die hält einen in der Wohnung versteckt.
Sie ging zur Kammer, schloß die Tür auf. Bremer kam heraus, bleich, Schweiß auf der Stirn, obwohl es in der Kammer eiskalt war. Er stand da, und sie sah, trotz der recht weit geschnittenen blauen Hosen, daß ihm die Knie zitterten. Sie gingen in die Küche, setzten sich. Und sie sagte in das ängstliche, nein, entsetzt blickende Gesicht von Bremer: Das war Lammers.
Sie stützte
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