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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Nazis verkleideten sich als Landarbeiter oder zogen Uniformen der unteren Ränge an. Und, dachte sie, den Anzug wird er jetzt nicht mehr schicken müssen. Wenigstens das, sagte sie, war in dem Moment eine Erleichterung. Er hatte sich den Anzug nicht ausgeliehen, er hatte ihn getauscht. Und was er seiner Frau für eine Geschichte erzählen würde, war ihr egal. Denn die Geschichte, seine, ihre Geschichte, konnte er niemandem erzählen, das war keine dieser Kriegsgeschichten, die überall und immer wieder die Runde machten. Das war keine Stammtischgeschichte.
    Das ist eine Geschichte, die nur ich erzählen kann. Es gibt darin nämlich keine Helden.
    Sie ging durch die Küche, sah die Kippen, die er in den Mülleimer geschüttet hatte. Das Geschirr hatte er abgespült und eingeräumt. Die Spüle war geputzt. Und im Flur lag auf Kante zusammengelegt die Feldplane, unter der sie mit ihm im Regen nach Hause gegangen war.
    Sie setzte sich an den Küchentisch und weinte.
     
    Ich glaub, sagte sie, jetzt müßte die Sonne langsam aufgehen. Sie hielt mir das Pulloverteil hin.
    Ja.
    Soll ich noch ne weiße Wolke reinstricken, so ne richtige Kissenwolke?
    Wär schön.
    Mal sehn. Stell mal Wasser auf.
    Ich stellte in der Kochnische den Tauchsieder an. Den Kaffee wollte sie selbst aufgießen, das ließ sie sich nicht nehmen. Sie goß nach, wenn der Kaffee durch den Filter abgelaufen war. Sie lauschte auf das langsamer werdende Nachtropfen. Nie redete sie dabei. Stand da, in sich versunken, die Augen auf die eine Kachelwand imitierende Plastiktapete gerichtet.
    Ich schob den Tortenkeil auf einen Teller. Sie ging zum Tisch. Echte Bohne, sagte sie. Also keine Angst vor Zunge gerben und so.
    Was ist denn mit Bremer passiert, drängte ich. Keine Ahnung, sagte sie.
    Ich denke, die Currywurst hat mit Bremer zu tun.
    Hat sie auch. Aber nich so direkt. War n Zufall. Bin gestolpert. Nix weiter. Obwohl – je älter man wird, desto weniger glaubt man an Zufälle. Vorsichtig trug sie die Kanne zum Tisch, ertastete erst meine, dann ihre Tasse und goß ein. Und wieder staunte ich, daß sie die Tassen gleichmäßig vollgoß.
    Also, erst mal kamen die Männer aus der Gefangenschaft zurück. Im Januar 46 kam der Durchhalte-Fröhlich aus dem Internierungslager. Wurde dann bei der Entnazifizierung nur als Mitläufer eingestuft. Wer andern eine Grube gräbt, hat wohlgebaut. Wurde zwar nicht mehr Behördenleiter, dafür aber Personalleiter. Verstehst?
    Und dann, eines Tages, im März 46, klingelt es, und draußen steht er.
    Bremer?
    Nein, mein Mann.
    Ich mußte ihr ja nichts verbergen, nicht mein Zurücksinken an die Stuhllehne, nicht mein Kopfschütteln, ich hätte auch die Augen theatralisch zur Decke verdrehen können oder mir an die Stirn fassen. Und doch schien sie etwas gemerkt zu haben, vielleicht hatte ich auch etwas unkontrolliert auf geschnauft. Ihr Gehör war ja äußerst fein. Mein Mann, sagte sie, gehört auch zur Geschichte. Tatsächlich?
    Ja.
    Aber übermorgen muß ich zurück nach München. Es beklagen sich die Kinder, auch meine Frau. Und das mit Recht. Ich hatte ja nur eine Woche in Hamburg bleiben wollen und bin schon die zweite Woche hier.
    Kannste die Rückreise nicht um ein, zwei Tage verschieben?
    Unmöglich.
    Schade, sagte sie, wirklich schade, müssen wir das abkürzen, die Geschichte mit Gary. Die is besonders interessant. Gary is nämlich der Erfinder von dem Ball Paradox. Die Idee ist ihm später von Frau Keese geklaut worden. Dieses Tanzcafé, in dem Frauen die Männer auffordern. Und die Männer dürfen keinen Korb geben.
    Ich komm immer wieder mal nach Hamburg, dann müssen Sie mir die Geschichte erzählen.
    Sie aber schwieg obstinat, spatelte mit der Kuchengabel von der Zuger Kirschtorte Scheibchen. Ihre Bewegungen waren altersbedingt langsam, aber doch zügig, und weil sie so langsam waren, fiel es nicht auf, wie zielgerichtet das erste Stück Torte verschwunden war. Dann schob sie, als Appetitswechsler, ein Stückchen alten Gouda in den Mund, lutschte das wie ein Bonbon. Ich schob ihr das zweite Stück Torte auf den Teller. Tosca, sagte sie, und aß.
    Ich schwieg und wartete geduldig. Draußen drückte der Wind in Böen den Regen gegen das Fenster.
    Also Ihr Mann, der Gary, kam zurück, versuchte ich mit einem die gespannte Neugier heuchelnden Ton, sie wieder zum Reden zu bringen. Woher denn?
    Aus der russischen Gefangenschaft. Der sah prächtig aus, im Gegensatz zu anderen Rußlandheimkehrern. Hatte Sonderrationen

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