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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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bekommen, weil er auf m Kamm die russischen Volkslieder blasen konnte. Die Wachmannschaften müssen wie die Schloßhunde geheult haben.
    Also, Gary kommt rein. Jürgen, mein Sohn, sitzt in der Küche. Den hatten die Amis schnell entlassen. War ja noch Kind, mit sechzehn. Lehrstellen gabs noch nicht. Jürgen arbeitete an einem Fließband, sortierte ganze und halbe Ziegel aus dem Trümmerschutt. War immer n fleißiger Junge. Hallo, sagte Gary. Jürgen sitzt am Küchentisch wie versteinert. Kommt n Mann und sagt: Ich bin dein Vater. Jürgen hatte den zuletzt mit zehn gesehen. Gary will mich umarmen. Moment, hab ich gesagt, und den Jungen rausgeschickt, dann: Was willste hier?
    Na hör mal. Für die Kinder sorgen.
    Ha, ha, hab ich nur gesagt.
    Dann is er zum Schrank gegangen. Holte seinen blauen Anzug raus. Wo is der graue?
    Hab ich getauscht.
    Das hatte sie richtig patzig gesagt und ihm die Marineuniform gezeigt. Er starrte die Uniformjacke an. Er sah sie an. Und sie sah in seinem Gesicht, wie er mit sich selber kämpfte, wie er überlegte, was er tun sollte, denn das, was er sagte, entschied ja über alles weitere, sollte er toben, sollte er sagen, was wahrscheinlich damals viele gesagt hätten und auch haben: Während ich meine Knochen hinhalten mußte, liegst du im Bett und vergnügst dich mit einem andern. Aber er wird sich auch gedacht haben, daß er eben das nicht sagen darf. Sie hätte einfach sagen können: Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Und von wegen Knochen hinhalten, daß ich nicht lache.
    Ich war in dem Moment nicht mal aufgeregt, sagte Frau Brücker und nahm vorsichtig das Strickzeug vom Tisch.
    Er pulte an dem Narvikschild, dann am Reiterabzeichen. Er wollte was sagen, einen dämlichen Witz machen, ich dachte, wenn er das tut, schmeiß ich ihn sofort raus.
    Er sah sie an und bemerkte, daß ihre Unterlippe ziemlich schmal war und daß sie ihn fixierte, ihn ansah, mit einem Blick: Komm, sags schon, dann knallts.
    Gut, sagte er, wir sind quitt.
    Quitt ist gut, da fehlen noch gut zwölf Jahre und mindestens hundert Männer. Sie schluckte das runter, sagte nichts.
    Einen Monat später kam der Kantinenleiter aus der Gefangenschaft zurück. Dr. Fröhlich ließ Lena Brücker rufen. Fröhlich saß hinter seinem Schreibtisch, sagte nur: Sie sind ja nun überflüssig, nicht. Kann ich denn wenigstens als Bedienung arbeiten? Sagte Fröhlich mit einem käsigen Grinsen: Sind schon genug Hände da, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
    Lena Brücker ging nach Hause, wo sie von jetzt an kochte, putzte und an Bremer denken mußte, der hier geputzt und gewaschen hatte, und immer wieder – wie jetzt sie – zum Fenster gegangen war, hinuntergeblickt hatte. Im Gegensatz zu ihm konnte sie jederzeit hinuntergehen, und dennoch fühlte sie sich wie eingesperrt. Hatte mal ne Kantine geleitet, war mit Leuten zusammengewesen, war ne schöne Zeit: telefonieren und organisieren. Die Leute von der Fischhalle sagten: Hallo, Frau Brücker, haben heute vier Kisten Schellfisch, der Mann von der Freibank: Heute is nix da, hab die Kantine vom Polizeipräsidium beliefern müssen, aber morgen sind Sie wieder dran, wie gehts denn?
    Der Mann von der Einkaufsgenossenschaft Vierlande rief an: Hab heute ne Ladung angeditschten Salat, was Gutes für eure Schreibstubenhengste. Und dann lachte er dreckig. Nun saß sie zu Hause, paßte oft auf den Heinz auf, den Kleinen, den Edith, ihre Tochter, aus Hannover mitgebracht hatte, ohne Vater. Immer öfter, nachmittags, wenn alles geputzt, alles eingekauft, alles eingeordnet war, überfiel sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Manchmal blickte sie dann auf den Küchenboden, da, wo das Matratzenfloß gelegen hatte, wo sie sich hatten treiben lassen, nackt, und sich voneinander erzählt hatten, das heißt, sie hatte ihm von sich erzählt.
    Die Zeit damals war, sagte Frau Brücker und sah mit ihren milchigen Augen ein wenig über mich hinweg, das Glück.
    Vom Gang war ein feines Quietschen zu hören. Is der Rollstuhl von der Lüdemann. Stimmen. Das Anfahren eines Fahrstuhls. Ein fernes Husten.
     
    Ne Zeitlang hab ich den einen mit dem andern ausgetauscht, im Kopf jedenfalls. Mußte nur die Augen zumachen. Das geht, aber eben nur ne Zeitlang. Verliert sich langsam. Und dann wird er langsam der, der auch wirklich auf einem liegt. Man riecht es, man spürt es, kommt man auch mit fest geschlossenen Augen nicht gegen an.
    Gary war unter der Woche mit seinem Laster unterwegs. Fuhr für die

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