Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
einzelner konkreter Landschaften lässt sich klären, worin die Individualität einer Landschaft besteht und inwieweit sie einen Typus repräsentiert. Beim Umgang mit Typenbezeichnungen für Landschaften sollte Metaphern wie etwa «Arkadien», «Paradies» oder «Schweiz» besondere Beachtung geschenkt werden. Besonders verlockend ist eine Darstellung von solchen Gebieten, in denen es auf den ersten Blick kompliziert ist, die Zusammenhänge zwischen einzelnen typischen Elementen von Natur und Landnutzung herzustellen. Dies gilt zum Beispiel für Marschengebiete an der Nordsee, in deren Dorfkirchen auffallend viele historische Orgeln undin deren Wohnkultur besonders viele städtische Einflüsse zu finden sind. Diese Tatsachen passen nicht zu dem auf den ersten Blick dörflichen Charakter dieser Siedlungen; sie müssen erklärt werden.
Ähnliche Systembezüge in der Genese von Landschaften unter dem Einfluss des Menschen, wie sie hier für den Nahen Osten und Europa hergestellt wurden, lassen sich auch am Beispiel anderer Kulturkreise untersuchen, vor allem in Ostasien und in Mittelamerika. Vegetations- und Landschaftsgeschichte auf der Grundlage von Pollenanalysen rückt andere Einflussfaktoren als Klimaschwankungen stärker in den Vordergrund. Wir brauchen eine möglichst von Ökologen zusammengestellte Übersicht darüber, welche Pflanzen- und Tierarten nur deshalb in Mitteleuropa oder anderen Gegenden auf der Erde vorhanden sind, weil Menschen ihre Ausbreitung gefördert haben; dies sind keineswegs nur die Arten, die man gemeinhin für Archäo- und Neophyten bzw. Archäo- und Neozoen hält. Aus der Untersuchung des Baumaterials von traditionellen Häusern und Schiffen lassen sich Rückschlüsse auf die frühere Bewirtschaftung von Wäldern und den Holztransport über nähere oder weitere Distanzen ziehen. Man könnte untersuchen, welche Vorbildwirkung die Anlage von Gärten und Parks für die Neugestaltung ganzer Regionen hatte, etwa bei der Anlage von Alleen und Hecken. Vielversprechend sind Untersuchungen darüber, wie Darstellungen von Landschaften ihren Weg aus wissenschaftlichen Werken in die fiktionale Literatur fanden und wie Landschaften dabei (um-)gedeutet wurden. Von grundsätzlicher Bedeutung sind interdisziplinäre Untersuchungen über den Stellenwert von Landschaftsdarstellungen auf Kunstwerken. Insofern die Interpretation des Malers in die Darstellung Eingang fand, kann man sie nicht unkritisch als Beweisstücke für einen bestimmten Zustand einer konkreten Landschaft verwenden. Doch welche allgemeinen Aussagen sind dennoch möglich, wenn man die auf solchen Bildern dargestellten Gegenstände und Landschaftselemente in geeigneter Weise analysiert? Schließlich entwickeln sich innerhalb der Landschaftswissenschaft eigene Ansichten zur Definition von Begriffen, die sie mitanderen Fächern teilt. Dabei geht es nicht nur um den Begriff «Landschaft», sondern auch um «Natur», «Kultur», «Zivilisation», «Gestaltung», «System» usw.
Die genannten Beispiele sollen lediglich demonstrieren, welch vielseitige Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen der Landschaftswissenschaft bestehen. Diese Arbeiten beziehen keineswegs nur Geographen oder Ökologen ein, sondern auch Wissenschaftler aus zahlreichen philologischen, philosophischen oder historischen Fächern.
Wildnis oder Landschaftsbewahrung
In der Landschaftswissenschaft können auch zahlreiche eher anwendungsbezogene Fragen im Zentrum stehen. Unter anderem geht es dabei um eine Auseinandersetzung mit dem Anliegen des Naturschutzes. In Naturschutzgebieten können mehrere Strategien des Schutzes im Vordergrund stehen, die sich gegenseitig widersprechen. [160] Entweder soll sich dort Natur ungestört von Interventionen des Menschen entwickeln, so dass nach einer Sekundärsukzession der Vegetation eine Wildnis oder ein «Urwald von morgen» [161] entstehen kann. Oder man pflegt Land, um einen als «schöne Natur» wahrgenommenen Zustand von Landschaft mit bemerkenswerten Tieren und Pflanzen zu bewahren. Damit ist aber keine Natur im naturwissenschaftlichen Sinne gemeint, sondern eine Landschaft, die von Menschen «Natur» genannt wurde bzw. wird. Dass diese Landschaft weder unter natürlichen Bedingungen entstanden ist noch unter diesen Bedingungen erhalten werden kann, weiß zwar jeder, der mit der Materie vertraut ist; doch dies wird der Öffentlichkeit keineswegs genau genug erklärt.
Viele Gebiete werden heute deswegen unter Schutz gestellt, weil sie einen
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