Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Natur und Kultur so eng miteinander verzahnt, dass es aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll ist, insgesamt zwischen Natur- und Kulturlandschaft zu unterscheiden. Landschaft muss stets als ein Ganzes gesehen werden, das sich in Raum und Zeit entwickelte. Insgesamt stellt dieses Ganze einen kulturellen Wert dar, der im Lauf von vielen Jahrtausenden seine besonders Prägung erhielt.
Dieser Zusammenhang wird oft zu wenig gewürdigt. Vielmehr ist immer wieder davon die Rede, dass Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt «naturnäher» oder «nachhaltiger» gewirtschaftet hätten oder dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen hätten, «Natur zu zerstören». Davon kann keine Rede sein. Seit Jahrtausenden prägen Menschen durch ihr Wirtschaften ihre Umgebung, und es ist nicht zu entscheiden, welche Form ihres Wirtschaftens «naturnäher», «naturferner» oder «nachhaltiger» war. Schon bei der altsteinzeitlichen Jagd wurden mehr Tiere getötet, als es notwendig gewesen wäre. Durch prähistorische Landwirtschaft, bei der Siedlungen immer wieder verlagert wurden, prägten Menschen mehr Gebiete, als notwendig gewesen wäre, und lenkten zudem die natürliche Entwicklung in den verlassenen Gebieten in neue Richtungen. Schon vor Jahrtausenden kam es zur irreversiblen oder kaum rückgängig zu machenden Bodenversalzung künstlich bewässerter Äcker.
Die Bevölkerung auf der Erde wuchs exorbitant an, dazu stiegen Ansprüche der Menschen an Vielfalt der Ernährung, an Gesundheit, an Mobilität, an Wohnraum usw.; immer wieder wurden Grenzen des Wachstums spürbar. Aber immer wieder gelang es auch, neue systemische Zusammenhänge zwischen natürlichen Faktoren und der Landnutzung herzustellen, mit der Folge, dass sich innerhalb dieser Zusammenhänge Landschaften fundamental veränderten. Im Lauf der Zeit kam es immer wieder dazu, dass Räume, in denen unterschiedliche Systembezüge zwischen Natur, Landnutzung und Landschaft herrschten, unmittelbar aneinandergrenzten. Menschen, die unter dem Einfluss dieser unterschiedlichen Systembedingungen lebten, verstanden sich gegenseitig nicht. Ausdruck davon sind zahlreiche Interpretationen, Ideen und Metaphern, die sich zu Leben und Landschaft außerhalb des eigenen Systems entwickelten. Daraus ging hervor, was man für Natur und Kultur hielt, auch für zu schützende Natur, für Natur- und Kulturlandschaft, für naturnah, für wild und Wildnis, für ein Paradies, für ein Naturschutzgebiet. Wer diese Begriffe verwendet, muss wissen, in welchen Traditionen er dies tut: Man stellt sich damit in eine durchaus interessante Argumentationskette der Geisteswissenschaften, argumentiert aber nicht immer auf naturwissenschaftlicher Basis.
In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, erstens Natur als eine stets dynamische Kraft zu verstehen und zweitens zu erkennen, dass mehrere Systeme aus Landnutzung und Landschaft aufeinanderfolgten. Jeweils ein einzelner Innovationsschritt löste eine Kettenreaktion von anderen Innovationen aus, die auf den ersten Schritt folgen mussten. Der Beginn des Anbaus von Kulturpflanzen hatte die Einführung der Sesshaftigkeit von Menschen zur Folge, den Bau von ländlichen Siedlungen, besondere Formen der Vorratshaltung, die Erfindung von Keramik und zahlreichen Geräten, mit denen man Felder bearbeitete. Die Regulierung der Bewässerung von Feldern erforderte den Aufbau einer Administration. In der Folge entstanden erste dauerhafte Siedlungen und Staaten, man brauchte die Schrift, eine historische Überlieferung setzte ein. In der Umgebung von dauerhaftenSiedlungen konnte man ebenfalls dauerhafte Gärten anlegen. Nicht völlig ortsfeste, von Zeit zu Zeit verlagerte Siedlungen unterscheiden sich grundsätzlich von Orten, die ihre Lage beibehielten; beide Typen von Siedlungen prägten die Umwelt auf durchaus verschiedene Weise. Frühe Städte entstanden an anderen Orten als ländliche Siedlungen; daher ist es nicht möglich, dass sie unmittelbar aus früheren Dörfern hervorgegangen sind.
Nacheinander entwickelten sich mehrere Hochkulturen, die nach einigen Jahrhunderten wieder an Bedeutung verloren, so dass sich die Schwerpunkte von Macht, Wirtschaft und kultureller Entwicklung in andere Regionen verlagerten. Seit dem 17. Jahrhundert gelang es aber, in zuvor schon intensiv besiedelten Regionen Westeuropas durch Reformen der Landnutzung neue Blütezeiten von Macht, Wirtschaft und Kultur zu erreichen. Eine neue Form der Metaphernbildung
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