Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
gemäßigten, subtropischen und tropischen Breiten. Im Verlauf ihrer Bewegungen stießen sie immer wieder einmal aneinander, was dazu führte, dass Teile von Kontinentalplatten übereinander und untereinander geschoben wurden. An diesen Stellen wurde die Erdoberfläche weit in die Höhe gedrückt, so dass hohe Gebirge entstanden. Relativ rasch ablaufende Prozesse der Gebirgsbildung bezeichnet man als Orogenese, langfristige Vorgänge als Epirogenese; beide sind von der Gesteinsbildung oder Lithogenese zu unterscheiden. Europa wurde einerseits durch sehr alte, andererseits recht junge Gebirgsbildungsprozesse geprägt: Die Nordwanderung der afrikanischen Kontinentalplatte hatte die Entstehung einer Hochgebirgskette zur Folge, zu der Pyrenäen und Alpen gehören. Kalkablagerungen, die sich einst im Meer gebildet hatten, wurden auf diese Weise mehrere Kilometer in die Höhe gehoben. Manche der höchsten Alpengipfel bestehen aus diesem Material.
Im Verlauf der Bewegungen von Kontinentalmassen entstanden auch Senken, in denen sich flache Becken ausbildeten. Eine solche Senke befand sich zu verschiedenen Zeiten immer wieder im nördlichen Mitteleuropa, im Bereich von Nord- und Ostsee, und auch das Mittelmeer kann als eine solche Senke verstanden werden. [47]
Abb. 4-3 Blick über den Rhonegraben bei Mâcon (Burgund) nach Osten.
Kontinentalplatten können auch zerbrechen und dann auseinanderdriften. Alfred Wegener zeigte in seiner bahnbrechenden Kontinentaldrifttheorie, dass die beiden Amerikas, Afrika und Eurasien einmal eine zusammenhängende Kontinentalmasse gebildet hatten. [48] An der Bruchnaht der Mittelatlantischen Schwelle trennten sich die Kontinentalplatten und begannen, sich voneinander zu entfernen. Eine weitere markante Bruchnaht bildet sich derzeit, das heißt, in Wirklichkeit im Verlauf von vielen Jahrmillionen, in Europa, im Mittelmeerraum und Afrika. Dort bricht ein Graben ein, den man vom Oslofjord im Norden über den Leine-, den Oberrhein- und Rhonegraben
(Abb. 4–3),
dann quer durch das Mittelmeer und das Rote Meer bis nach Ostafrika verfolgen kann. In Südnorwegen, am Mittelmeer und am Roten Meer sind bereits Wassermassen in den Graben eingedrungen; dies wird in ferner Zukunft mutmaßlich auch in anderen Bereichen des Kontinentalbruches geschehen.
In einigen Bereichen dieses Grabens sind im Zusammenhang mit den Bruchvorgängen die Ränder der auseinanderweichenden Kontinentalmassen emporgehoben worden. Dadurch wurden Teile der Erdoberfläche in der Nähe der Bruchnaht schräg gestellt. Zuvor tief im Untergrund versunkene Gesteinsmassen liegen nun als Gebirge und Hügelländer an den Seiten des Grabenbruchs. Ehemals ragten diese emporgedrückten Felsmassen noch höher auf. Was auf den schräg gestellten Gesteinsschichten lag, ist bereits abgetragen, weil es den erodierenden Kräften an der Erdoberfläche besonders stark ausgesetzt wurde. Die Kanten jüngerer Ablagerungen sind bereits weit von der Bruchnaht entfernt, ältere Ablagerungen hielten sich noch in deren Nähe.
Jede harte Gesteinsschicht wurde durch die Kraft der Erosion herauspräpariert, und so entstand eine Schichtstufenlandschaft
(Abb. 4–4)
. Zum Grabenbruch hingewandt sind steile Hänge, die von hartem Stein bekrönt werden, vom Graben weg fallen Platten sanft bis zum nächsten Steilhang harten Gesteins ab. Schichtstufenlandschaften finden sich an den Rändern des Grabenbruchs in Europa: Östlich des Grabens, in Süddeutschland, sind die Bruchkanten nach Westen orientiert, die Bruchkanten in Frankreich dagegen nach Osten hin. In Frankreich werden die schräg gestellten Bergrippen mit ihren Kanten «Côte» genannt. Man bezeichnet sie also genauso wie eine Steilküste am Meer; tatsächlich sehen die Bruchkanten der Schichtstufenlandschaft und Steilküsten ähnlich aus. Gut ausgebildete Schichtstufenlandschaften findet man auch im südlichen Niedersachsen, beidseits des Leinegrabens.
Die Entstehung einer anderen Schichtstufenlandschaft könnte mit dem Auseinanderbrechen von Europa und Nordamerika zusammengehangen haben: Auch auf dem weit in die Höhe gedrückten skandinavischen Gebirge aus altem Gestein liegen jüngere Kalksteinablagerungen, die im Ostseeraum und am Rand der russischen Tafel Steilkanten bilden, die nach Westen und Norden orientiert sind. Sie werden Glint oder Klint genannt und prägen die Küsten von Estland sowie einiger großer Ostseeinseln, beispielsweise von Gotland und Öland. [49]
Abb. 4-4
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