Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
einer speziellen Landschaftsbeschreibung erweitern. In ihr könnten dann auch die für Touristen wichtigen Erklärungen der Orte enthalten sein, die man von dem Aussichtspunkt aus sieht.
Zweitens wird deutlich, dass sich eine solche Landschaftsdarstellung auf andere Orte übertragen oder an deren Gegebenheiten anpassen lässt. Auch in anderen Gegenden gibt es Tafelberge und Flüsse mit Prall- und Gleithängen, nur nicht in der hier sichtbaren Kombination oder Ausprägung. Die Muster der Besiedlung und die Formen der Verkehrserschließung sind ähnlich, auch die Möglichkeiten der Nutzung von Landschaft.
Drittens zeigt sich, dass spezielle Fakten (genaue Analyse der Gesteine, Böden, der Vegetation und der Siedlungsgenese usw.,auch die Namen der Lokalitäten) nicht von Anfang an im Zentrum der Darstellung stehen müssen, sondern Erweiterungen sind, mit denen die Landschaftsdarstellung konkretisiert werden kann. Darunter darf die Darstellung des allgemeinen Landschaftsbildes aber nicht leiden. Schließlich gibt sie den Rahmen an für alle weiteren Betrachtungen. Neue Analyseergebnisse müssen in den allgemeinen Kontext gestellt werden, den die Landschaftswissenschaft mit ihrer Darstellung vorgibt.
Viertens werden im Lauf der Landschaftsdarstellung neue Forschungsfragen evident, die beispielsweise die Entwicklung der Verteilung von Wald und Offenland, die Siedlungsgenese, die Frage der ursprünglichen Versorgung der Siedlung oder auch den Umgang mit Hochwassergefahr betreffen.
Fünftens zeigt sich insgesamt, dass mit einer solchen Darstellung eine konkrete Landschaft wissenschaftlich erklärt werden kann. Das ist wichtig, um die Landschaft zu verstehen – und es hat auch praktischen Nutzen; denn auf der Grundlage einer solchen Darstellung ließen sich beispielsweise bessere Pläne für den Hochwasserschutz an der Elbe machen.
Metaphern zum Bild
Anschließend kann man sich mit Metaphern und Ideen auseinandersetzen, die mit der konkret betrachteten Landschaft verbunden werden. Sie sind nicht allgemeingültig, sondern nur mit der hier präsentierten Landschaft individuell verbunden. Dabei geht es um die Namen der Orte, Gewässer und Berge; einige davon sind leicht zu verstehen, etwa Bastei oder Königstein, andere rätselhaft. Viele meinen, der Name «Elbe» habe etwas mit dem lateinischen Wort «weiß» zu tun; das beflügelt die Phantasie in einer bestimmten Richtung. Dabei liegt die Ansicht viel näher, darin einfach eine Bezeichnung für den Begriff «Fluss» zu sehen, vergleichbar dem schwedischen Wort «Älv». [80] Andere Namen, die auf slawische Begriffe zurückgehen, sind schwerer zu verstehen, beispielsweise der Name Rathen für den unterhalb gelegenen Ort.
Insgesamt wurde diese Landschaft bereits im 18. Jahrhundert für besonders schön gehalten und daher immer wieder von Künstlern und kunstsinnigen Menschen aufgesucht; sie wurde damals als «Sächsische Schweiz» bezeichnet, später auch sachlich zutreffender als Elbsandsteingebirge.
Wie wir sahen, hat Alfred Hettner den Durchbruch der Elbe im Elbsandsteingebirge als Canyon beschrieben. Diese Idee könnte einen Schriftsteller inspiriert haben, der lange in der Nähe des Elbtals lebte: Karl May. Er schrieb in Radebeul bei Dresden seine berühmten Romane vom Wilden Westen. Er kannte damals Amerika noch nicht aus eigener Anschauung, sondern griff bei der Darstellung der dortigen Landschaften auf Vorbilder in der Literatur zurück. So könnte der Canyon der Elbe zum Vorbild von «Landschaften» geworden sein, die Karl May in seinen Darstellungen des Wilden Westens beschrieb, etwa in den Winnetou-Romanen und in «Der Schatz im Silbersee». May schrieb diese Bücher in den 1890er Jahren, also einige Jahre nach dem Erscheinen der wissenschaftlichen Untersuchung von Alfred Hettner. Mays Landschaftsdarstellungen wurden in den folgenden Jahrzehnten viel populärer als wissenschaftliche Beschreibungen der Landschaft an der Bastei oder bei Rathen. Eigenartigerweise wurde die Landschaft an der Elbe durch den Vergleich mit dem «Wilden Westen» erneut mit einem Begriff für das Schöne, Erhabene, das Wilde und die Freiheit verbunden – wie damals, als sie zur «Sächsischen Schweiz» geworden war.
Hinweise auf eine Ähnlichkeit mit der Schweiz oder dem Wilden Westen charakterisieren aber die Elblandschaft oberhalb von Dresden nicht vollständig; daher sollten solche assoziativen Verbindungen nicht bereits am Beginn einer landschaftswissenschaftlichen Beschreibung
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