Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
an, gaben aber die Jagd und das Pflanzensammeln nicht auf. Innerhalb von später entstehenden Staatswesen wurde die Umwelt erneut anders geprägt. Die zuvor entwickelten Methoden, durch Ackerbau,Jagd, Pflanzensammeln und Holzwirtschaft wichtige Ressourcen zu gewinnen, wurden zwar weiterhin betrieben, aber auf eine Weise, die Landschaften anders prägte als ehemals. Innerhalb von Staaten kamen weitere Formen der menschlichen Einflussnahme auf die Umwelt hinzu, die von Verwaltungen, vom Neuaufbau von Infrastrukturen und neuen kulturellen Institutionen ausgingen. Verschiedene Charakteristika der menschlichen Einflussnahme auf Umwelt und Landschaft bildeten sich also nicht zur gleichen Zeit, sondern nacheinander aus. Alle Versuche, einen Umbruch von der Natur- zur Kulturentwicklung als einmaligen, abrupten Prozess zu beschreiben, sind nicht korrekt: Das zeigt unter anderem ein Blick auf Evidenzen der Umweltgeschichte, die Zeitreihen abbilden, vor allem auf ein Pollendiagramm.
Daraus ist aber auch abzuleiten, dass das momentan sichtbare Bild von Landschaft nicht der Endpunkt einer Entwicklung sein kann. Auch in Zukunft werden sich Ökosysteme beständig wandeln; die Geschichte der Landschaft ist nicht nur ohne klar anzugebenden Anfang, sie verläuft auch ohne Ende in die Zukunft hinein. Was wir heute als Landschaft vor uns sehen, ist nichts anderes als eine Momentaufnahme innerhalb einer langen Entwicklung. Stabil ist nicht das Materielle, das wir vor uns sehen, sondern unser Bild davon, die Landschaft, die als Reflexion über das Gesehene in unserem Kopf entsteht.
Ideen zum Beginn von Besiedlung
Die Idee, es habe nur einen einzigen abrupten Umbruch von einer rein natürlichen zu einer vom Menschen gesteuerten Entwicklung gegeben, ist dennoch weit verbreitet. Häufig wird der Zeitpunkt der ersten urkundlichen Erwähnung eines Ortes als der Zeitpunkt angesehen, an dem eine natürliche von einer kulturellen Entwicklung abgelöst wurde. Gegen diese Auffassung gibt es zunächst einmal den fundamentalen Einwand, dass natürliche Entwicklungen nicht mit dem Moment enden, zu dem Menschen auf der Bildfläche erscheinen, sondern weiter wirksam sind. Der Zeitpunkt derersten urkundlichen Nennung eines Ortes in einer Urkunde ist oft nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem ein Ort entstanden ist. In vielen Urkunden ist nicht von Gründung die Rede, sondern von einer Schenkung an einen Grundherrn. Mithin ist die Urkunde kein Beleg für die Entstehung eines Ortes, sondern zeigt, dass Verwaltung erstmals oder neu aufgebaut und die Siedlung in den Wirkungsbereich einer Infrastruktur aufgenommen wurde. Siedlungsfunde der Archäologen und oft auch die Ablagerungen von Getreidepollen in Pollenprofilen zeigen überdies, dass sehr viele Gemarkungen schon längst besiedelt waren, als ein Ort erstmals urkundlich erwähnt wurde, wenn auch die von Archäologen nachgewiesenen Siedlungen nicht unbedingt an genau den gleichen Punkten lagen wie der spätere Ort.
Wenn in den Urkunden von «Rodungen» als Voraussetzung für die Anlage einer Siedlung oder von Feldern die Rede ist, war es nicht unbedingt dichter oder ursprünglicher Wald, der beseitigt wurde. Was wirklich gerodet wurde, geht aus den Urkunden nicht hervor. In vielen Fällen wurde wohl nur Unkraut oder Gestrüpp in einem Gelände beseitigt, das vorher schon Siedlungs- oder Wirtschaftsfläche gewesen war. Es ging möglicherweise darum, nicht erstmals Siedlungen und Ländereien anzulegen, sondern eine Siedlung und ihr Land neu zu organisieren.
Oft wird aus der heutigen Lage einer Siedlung inmitten eines Waldes geschlossen, sie liege in einer Rodungsinsel und sei damit die erste Siedlung, die innerhalb eines ausgedehnten Waldgebietes entstanden ist. Diese Annahme erweist sich als Irrtum, wenn man Spuren von Äckern unter den Bäumen in der Umgebung der Siedlung findet. In einem solchen Fall geht die heutige Lage des Ortes inmitten eines Waldes nicht darauf zurück, dass eine Rodungsinsel angelegt wurde, sondern die Agrarflächen hatten ursprünglich eine größere Ausdehnung, und später kam es zu einer Reduktion der landwirtschaftlichen Flur, zu einer Flurreduktion. Sehr gute Beispiele dafür sind die Siedlungen südöstlich von München: Immer wieder hielt man sie für Orte, die in Rodungsinseln entstanden sind [81] , aber in den Wäldern in ihrer Umgebung wurden zahlreiche Spuren von Äckern nachgewiesen. [82]
Immer mehr Heimatchroniken sowie Werke zur Lokal- und
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