Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
als Siedlungskammern bezeichnet werden, in vorgeschichtlicher Zeit immer wieder verlagert wurden. Sie bestanden oft nur einige Jahrzehnte, maximal aber wenige Jahrhunderte und wurden dann wieder aufgegeben. Einige hundert Meter oder wenige Kilometer entfernt wurde zur gleichen Zeit eine neue Siedlung gegründet. Dagegen hatten die meisten Siedlungen, die in historischer Zeit bestanden, dauerhaften Bestand. Dieses Ergebnis lässt sich durch Pollenanalysen bestätigen: In prähistorischer Zeit gibt es nur sporadische Nachweise von Getreidepollen, die ermittelten Siedlungsphasen waren daher wohl kurz. In denjenigen Gebieten, die römisch besiedelt wurden, bereits um Christi Geburt, in anderen Gegenden seit dem Mittelalter findet sich Pollen von Getreide in jeder Schicht eines wachsenden Sedimentes in Mooren oder Seen; die Menge an Getreidepollen ist erheblich größer als in den vorgeschichtlichen Siedlungsphasen. [89] Siedlungsbefunde und Pollendiagramme verweisen darauf, dass in den jüngeren Phasen der Siedlungsgeschichte Ortschaften und ihre Wirtschaftsflächen dauerhaft bestanden; von ihnen ging also ein anderer Einfluss auf die Umwelt aus als von Siedlungen, die in prähistorischer Zeit bestanden.
Daraus sind generelle Befunde abzuleiten: Vorgeschichtliche Siedlungen, die von ihren Bewohnern spätestens nach einigen Jahrhunderten wieder aufgegeben wurden, konnten keine Basis für den Aufbau einer stabilen Infrastruktur sein. Solange Siedlungen immer wieder neu gegründet und aufgegeben wurden, kam es häufiger als unter allein natürlichen Bedingungen zu Sekundärsukzessionen von Wald. An jedem Ort wechselten Phasen, in denen Menschen die Umweltentwicklung abrupt dahingehend veränderten, dass Landwirtschaft betrieben wurde, mit Phasen, in denen – nach der Aufgabe einer Siedlung – sich wiederum allein die natürliche Entwicklung auswirkte. Im Rahmen einer Sekundärsukzessionbildete sich erneut Wald. Diese Neubildung von Wald ist ein weiterer mittelbarer Einfluss des Menschen auf seine Umwelt, der das Bild der Landschaft beeinflusste. Ohne menschlichen Einfluss wären Sekundärsukzessionen nicht so häufig und nicht so großflächig abgelaufen wie nach der Aufgabe einer Siedlung mitsamt ihrer Wirtschaftsfläche. Die Wälder, die nach der Aufgabe von Siedlungen neu entstanden, waren keine Wälder im Urzustand mehr. Wurden sie später erneut gerodet, drängte man keine Urwälder zurück.
Nacheinander gab es verschiedene Phasen des menschlichen Einflusses auf Umwelt und Landschaft, in denen sich vor allem die Art und Weise der Landnutzung grundsätzlich veränderte: Zunächst wirkten Menschen nur als Jäger und Sammler auf ihre Umwelt ein. Später entstanden erste Siedlungen von Bauern, die in der Nähe ihrer Wohnstätten Land bewirtschafteten. Weil diese Siedlungen nicht dauerhaft bestanden, gingen von ihnen völlig andere Auswirkungen auf Umwelt und Landschaft aus als von Siedlungen, die nicht verlagert und unter Aufwendung erheblicher Anstrengungen an Ort und Stelle stabil gehalten wurden. Wieder anders zu beurteilen sind Umwelteinflüsse von Menschen in Siedlungsphasen, in denen nach ästhetischen oder wissenschaftlichen Gesichtspunkten Landschaft neu geplant wurde. Nochmals völlig anders ist der menschliche Einfluss auf Umwelt und Landschaft in einem modernen System, in dem eine Zentralisierung der Nutzung eine beherrschende Rolle spielt; diese Form der Landnutzung muss mit einem erheblichen Warenaustausch kombiniert werden und kann nur funktionieren, wenn Transportmittel billig zu betreiben sind. Jede Form des menschlichen Einflusses prägte Landschaft in anderer Weise; Auswirkungen davon lassen sich in der heute bestehenden Landschaft nachweisen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich nicht alle Facetten von Kultur zur gleichen Zeit bemerkbar machten. Mehrfach kam es zu kulturellen Umbrüchen, bei der Einführung von Landwirtschaft, bei der Ausbreitung von Staaten, bei der Neuordnung von Land. Keiner dieser Umbrüche ist «der Anfang von Kultur».
Landschaften im Brennpunkt von Systemen der Umwelt und der Landnutzung
Landschaften wurden und werden von zwei unterschiedlichen systemischen Zusammenhängen geprägt: einerseits vom sich beständig entwickelnden Ökosystem, andererseits von konsekutiv bestehenden Systemen der Landnutzung.
Die Ausbildung der Landnutzungssysteme stand stets in Verbindung mit der Entwicklung der Bevölkerungsdichte, mit der Bedeutung der Planung von Leben und
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