Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Vorreiterrolle bei der Landreform eingenommen hatte, war auch das Land, das am frühesten industrialisiert wurde. In den Industriebetrieben bestand ein erheblicher Bedarf an Arbeitern, den man nicht ohne die Freisetzung von Arbeitskräften auf dem Land hätte befriedigen können.
Industrialisierung und Bemühungen um eine Reform der Landnutzung werden häufig als gegenläufige Prozesse gesehen, auch schon in der damaligen Zeit. 1790 nahm Georg Forster an, dass das Aufkommen von Industrie den Bestand von Wäldern bedrohte. [150] Doch Landreformen und Industrialisierung ergänzten sich in unerwarteter Weise. Dank der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion wurde es letztlich möglich, alle Krisen bei der Versorgung mit Lebensmitteln für die stark wachsende Bevölkerung in den Industriestädten zu meistern.
Die Dampfmaschine revolutionierte nämlich nicht nur die industrielle Produktion, sondern auch die Landnutzung. Mit ihr gelang es, in Bergwerken an tief im Untergrund liegende Kohle heranzukommen. Dampfmaschinen trieben Bewetterungsanlagen fürStollen und Aufzüge an, mit denen man Kohle zutage förderte. Kohle konnte mit der ebenfalls von Dampfmaschinen angetriebenen Eisenbahn weiträumig verteilt werden. Damit stand eine Alternative zur Nutzung von Holz als Brennstoff zur Verfügung. Dank der Verwendung von Kohle in Hüttenwerken, Glasfabriken und zum Heizen gelang es, die Übernutzung von Wäldern abzubauen und neue Waldflächen aufzuforsten. Wälder wurden im Zeitalter der Industrialisierung also nicht zurückgedrängt, sondern ihre Ausdehnung nahm im Gegenteil sogar zu.
Mit Mineraldünger, den man ebenfalls unter Nutzung von Dampfmaschinen gewann und flächendeckend im Land verteilte, ließen sich die Erträge landwirtschaftlicher Nutzflächen erheblich steigern. Dadurch wurden noch viel größere Mengen an Nahrungsmitteln auf die Märkte geworfen, so dass mehr Menschen ernährt werden konnten als zuvor. Viele Bauern kamen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Wohlstand, vor allem in Gegenden, in denen das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen und ein dichtes Eisenbahnnetz bereits aufgebaut worden waren.
Etliche Bauern vergrößerten in der Folgezeit Betriebsgebäude und Wohnhäuser; diese Entwicklung setzte sich in der Zeit der Mechanisierung von Landwirtschaft fort, die mit der Einführung von Lokomobilen begann, dampfgetriebenen Maschinen, die beim Pflügen und Dreschen verwendet wurden. In den Dörfern wurden neue Gemeinschaftsbauten errichtet: Rathäuser, Schulen, Kirchen und Pfarrhäuser, Bahnhöfe, Kolonialwarenläden, deren bezeichnender Name darauf verweist, dass es dort alles zu kaufen gab, was das eigene Land nicht hergab. Hinzu kamen Gebäude für die Feuerwehr, Molkereien, Speicher für Kulturpflanzen und Düngemittel. Beim Bau der vielen neuen Häuser verwendete man oft Industrieziegel. Sie stammten aus großen Ziegeleien, die ihren Rohstoff umfangreichen Ziegelgruben entnahmen. Ziegel kamen mit der Eisenbahn auch in Gegenden, in denen es keinen oder nur minderwertigen Ziegelton gab. Zwischen der Umstellung der Landnutzung und dem Aufbau von Industrie bestand ein enger Zusammenhang.
Die Landschaft wandelte sich erheblich: nicht nur dort, wo umfangreiche Industrie-, Bergwerks- und Wohnanlagen entstanden oder auf möglichst ebenen Trassen geführte Eisenbahnlinien das Land durchzogen, sondern auch dort, wo die Landreformen voranschritten, Land verkoppelt, Chausseen gebaut und Wälder aufgeforstet wurden.
In einigen Gegenden wurden andere Wege der Modernisierung eingeschlagen; nicht überall wurde Land verkoppelt. Die langgestreckten Fluren von vielen Hagen- und Waldhufensiedlungen blieben ebenso erhalten wie die Langstreifenfluren mit ihren Wölbäckern in solchen Gebieten, in denen durch Realteilung der Besitz sehr stark zersplittert worden war. Denn je mehr Bauern Anteil am Land eines Dorfes hatten, desto komplizierter war dessen Neuverteilung im Rahmen einer Verkoppelung. In Württemberg sorgte unter anderem Ferdinand von Steinbeis im 19. Jahrhundert für die Etablierung von Industrie in den Gebieten, in denen das Land unter sehr vielen kleinen Bauern aufgeteilt war. Am Rand der Schwäbischen Alb ließ sich hervorragend die Wasserkraft von Flüssen nutzen, die dort aus Karstquellen entsprangen. Kleinbauern verdingten sich als Arbeiter in Textilfabriken und feinmechanischen Werken; ihre kleinen Äcker bewirtschafteten sie im Nebenerwerb auch weiterhin. Hier ergab sich
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