Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Einfluss der Landreformen des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts, sondern sind in neue systemische Zusammenhänge eingebaut. Die Landnutzung der Zeit der Reformen wird heute mit dem Bild von «traditioneller bäuerlicher Landwirtschaft» im Familienbetrieb gleichgesetzt, dem Bild des Bauernhofs und dem Aussehen von dessen landschaftlicher Umgebung.
Viele Ortskerne erhielten eine markante bauliche Prägung, vor allem durch Kirchen, Rathäuser, Schulen, Feuerwehrgebäude, Molkereien, Schlachthäuser, Handwerksbetriebe und Kolonialwarenläden. In der eng vernetzten reformierten Landschaft mit ihren zahlreichen Stützpunkten der Verwaltung wurden alle diese Gebäude optimal genutzt. Diese Nutzung ging inzwischen in vielen Fällen verloren. Entweder benötigte man neue Bauten für die Verwaltung, den Schulbetrieb, die Feuerwehr oder den Supermarkt, oder die Nutzung am Ort wurde aufgegeben. Doch die Prägung der Orte durch die Bauten blieb bestehen.
Auf einen systemischen Zusammenhang zwischen Landnutzung und Landschaft, der vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert bestanden hatte, gehen viele Elemente in der Landschaft zurück, die man heute als Relikte der «historischen Kulturlandschaft» bewahren möchte. Sie standen ebenso wie die oben genannten Gebäude ehemals in einem funktionalen Zusammenhang, den es heute nicht mehr gibt und der auch vielen Menschen gar nicht mehr bekannt ist: Alleen, chaussierte Straßen, das Wegenetz der Landwirtschaft oder Überreste von Eisenbahnlinien, deren Trassen zum Teil als Straßen oder Radwege weiter genutzt werden. Bahndämme, Bahneinschnitte und oft monumentale Brücken blieben in vielen Fällen funktionslos erhalten, ebenso wie Bahnhofsgebäude, Güterschuppen oder Lagerhäuser und Getreidespeicher, die man im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Nähe der Bahnhöfe errichtet hatte
(Abb. 14–8)
. Transformatorenhäuschen brauchte man, als Ortschaften im frühen 20. Jahrhundert elektrifiziert wurden, heute besteht kein Bedarf mehr daran.
Stehen blieben vielerorts auch monumentale Industriebauten, beispielsweise von Zuckerfabriken, Sägewerken, Ziegeleien und Bergwerksanlagen. In den Städten konnte man nicht mehr genutzte Fabrikanlagen zum Teil anderweitig nutzen, auf dem Land sind die Möglichkeiten dazu nur sehr begrenzt gegeben.
Vor allem dort, wo es in späterer Zeit zu einem Nutzungswandel kam, erhielten sich Strukturen, die auf die Landnutzung von Reformlandschaften zurückgehen. Im Wald oder auf heute extensiv genutzten Viehweiden findet man vielerorts Überreste vonAckerterrassen und Koppeln. Die Koppelstruktur blieb auch in vielen Neubaugebieten an den Rändern großer Städte erhalten. Dort entwickelte sich das Straßennetz auf der Grundlage des ehemals landwirtschaftlich genutzten Wegenetzes; die ehemals durch Verkoppelung entstandenen Feldblöcke wurden mit Häusern bebaut. In vielen Fällen griff man bei der Benennung der Straßen auf alte Flurnamen oder die Namen der Bauern zurück, denen das Land ehemals gehört hatte. Mancherorts beseitigte man die Umfriedungen früherer Koppeln nicht; in einigen heutigen Wohngebieten blieben Wallhecken erhalten, die an die frühere Nutzung der bebauten Areale erinnern.
Auf die Zeit der Reformen des 18. bis 20. Jahrhunderts geht vielerorts die Zusammensetzung und Struktur heutiger Wälder zurück. Aus dieser Zeit stammt das Netz der Waldwege, die Einteilung der Wälder in Haue, Jagen oder Schläge. Im 19. Jahrhundert hatte man mit einem steigenden Holzbedarf gerechnet und daher vor allem Holzarten gepflanzt, die schnell wuchsen und auch auf ehemals landwirtschaftlich genutztem, armem Boden rasch in die Höhe kamen. Daher hatte man oft Fichten, Kiefern oder andere Nadelbäume ausgewählt, die bis heute in vielen Forsten dominant sind.
Überreste der materiellen Kultur, die in den Kontext des Landnutzungssystems des Zeitalters der Reformen gehören, finden sich in bäuerlichen Freilichtmuseen oder in Museen, in denen Traktoren und andere Landmaschinen präsentiert werden; an einigen Orten gibt es Museumseisenbahnen. Gerade derartige Museen können den Eindruck hervorrufen, alles dort Präsentierte stamme aus der Zeitschicht eines statischen «Früher», das sich von einem statischen «Jetzt» abhebt. Der Eindruck, das System von Landnutzung und Landschaft der Reformen sei lange Zeit stabil gewesen, mag aus mehreren Gründen entstanden sein. Viele Strukturen dieses Systems blieben nur deshalb lange bestehen, weil Kriege und
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