Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Krisen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Weiterentwicklung verhinderten. Lange Beständigkeit mag auch durch den Baustil vorgetäuscht werden oder worden sein: Viele Bahnhöfe, Industriebetriebe und Verwaltungsgebäude sollten von Anfang anso aussehen, als ob sie schon ein hohes Alter aufwiesen, als sie in Betrieb genommen wurden. Weil viele Menschen von den Reformen profitierten, indem sich ihr Wohlstand mehrte, Infrastruktur und Lebensbedingungen sich verbesserten, verbinden ihre Nachfahren, die davon in Erzählungen erfuhren, auch heute noch positive Emotionen mit den Strukturen dieses Systems. Zahlreiche Heimatvereine wurden in der Zeit gegründet, als sich die Lebensbedingungen auf dem Land zum Positiven veränderten. Bis heute ist die Beschäftigung mit der Geschichte der Vermehrung von Wohlstand und der Verbesserung von Lebensbedingungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Thema in diesen Vereinen.
Abb. 14-8 Am aufgegebenen Bahnhof von Bodenburg bei Hildesheim kommt es zu einer natürlichen Sekundärsukzession von Wald.
Die Landschaft dieses Systems wird von vielen Menschen als «Normalzustand von Natur» aufgefasst. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es die ersten systematischen Erfassungen von Flora und Faunaeinzelner Gebiete. [152] Biodiversität wird landläufig nur räumlich gesehen und nicht zeitlich. Dies aber wäre notwendig; Biodiversität ist keine Konstante, sondern besteht räumlich
und
zeitlich. Die Ausbreitung zahlreicher Pflanzen- und Tierarten wurde durch die Umgestaltung und bestimmte Nutzungen des Landes begünstigt. Der Wandel der Landnutzung führte aber auch zum Verschwinden anderer Arten von Lebewesen. Ganz allgemein gibt es einen «Normalzustand» der Biodiversität nicht; sie ist in jedem Fall ein Spiegel der Landnutzung.
Gesamtbewertung
Besonders bemerkenswert am Landnutzungssystem der Reformen ist, dass es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gelang, eine tiefgreifende Krise der Landnutzung dort zu überwinden, wo sie aufgetreten war. Das war im Zweistromland ebenso wenig gelungen wie in den Staaten der Antike am Mittelmeer. Es entstanden völlig neue Zusammenhänge der Landnutzung, die sich in der Formung einer völlig neuartigen Landschaft niederschlugen. Der Eindruck des Entstehens neuer landschaftlicher Zusammenhänge wurde aber insgesamt dadurch weitgehend überdeckt, dass man vielfach an gestalterische Traditionen anknüpfte, vor allem an Vorbilder der Antike und des Mittelalters. Aufs Ganze gesehen entstanden jedoch völlig neue Parks, Koppeln, Hecken, Wälder, Siedlungen und Infrastrukturen, die mit denjenigen früherer Systeme nicht vergleichbar waren. Alle Menschen profitierten davon, so dass das System auf große Akzeptanz stieß. Dies gilt insbesondere in der Rückschau auf die «gute alte Zeit», in der dieses System funktionierte.
Sowohl im 19. und frühen 20. Jahrhundert als auch in der Rückschau wird häufig übersehen, wie sehr die Industrialisierung die Durchführung der Landreformen unterstützte. Stattdessen wird der Gegensatz zwischen der Neuordnung der ländlichen Welt und der Industrialisierung betont. Die von den Förstern propagierte nachhaltige Waldwirtschaft und die Agrarreformen wärenohne Industrialisierung jedoch in den ersten Ansätzen stecken geblieben.
Unter den Systembedingungen der Landreformen wurden zahlreiche stabile Gebäude errichtet. Bahnanlagen, Bergwerke und Industrieanlagen wurden so gebaut, als seien sie schon ewig vorhanden und für die Ewigkeit gedacht. Indessen sind gerade technische Betriebe auf baulichen Wandel angewiesen, um optimale Produktionsbedingungen und Abläufe der Infrastruktur zu ermöglichen. Steht ein Abbruch alter Anlagen an, muss man bedenken, dass sie möglicherweise ganze Landstriche prägen. Viele Menschen haben inzwischen heimatliche Bindungen an sie und wollen sie unter Schutz gestellt sehen.
Die hier dargestellten Landreformen begannen in Westeuropa und wurden dort zu einem Gesamtsystem zusammengefügt, das in weiten Teilen der Welt übernommen wurde. Einige Gebiete, in denen die Landnutzung aufgegeben worden war, weil sich Folgen von Übernutzung bemerkbar gemacht hatten, konnten mit den Errungenschaften der Landreformen erneut intensiv kultiviert werden, etwa weite Landstriche am Mittelmeer. Aber auch in anderen Regionen ließ sich in der Folgezeit eine profitable Landwirtschaft etablieren, unter anderem in vielen Kolonien in Übersee und später den unabhängigen Ländern,
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