Die Entdeckung der Langsamkeit
John mit dem Teetrinken machen.
Was auch immer drängte: die Zeit des Teetrinkens war
einzuhalten. Und so allmählich wollte er die Tasse zum Mund heben, daà andere
ihn für tot hielten, jawohl. Umrühren wollte er so, daà keiner mehr wuÃte, ob
er linksherum rührte oder rechts. Im »Van Diemenâs Land Chronicle« würde
stehen: »Beweis erbracht! Der Gouverneur bewegt sich überhaupt nicht mehr!«
Exzellenz Sir John Franklin kicherte und setzte sich auf die Mauer.
Er baumelte mit den Beinen und blickte auf die mondglitzernde See hinaus. Vor
sich sah er die fassungslosen Gesichter Montagus und Maconochies beim Tee. Er
prustete heraus und schlug sich auf die Schenkel. Er war Gouverneur, er durfte
alles! Ruhe, Klarheit und dauerhafte Pläne waren verlangt. Das wollte er schon
noch zustande bringen.
Er merkte, daà sein Lachen müde wurde. Das Meer schien ihm entfernt
wie ein Stern, zugleich so weit unter ihm wie ein Abgrund. So sah man es am
Point Puer auf der Klippe. Aber er dachte gar nicht daran, sich
hinunterzustürzen. Das ist der Vorteil, dachte er, wenn man alt geworden ist,
ohne der Justiz zu begegnen. Ich habe Glück gehabt.
Er brauchte keine Wassersäule mehr, die sich gegen die Schwerkraft
aus den Fluten hob, um seine Feinde zu verschlingen oder ihm den Weg zu weisen.
Er vermiÃte keinen weiÃgekleideten Sagals, der ihm ein freundliches Gesicht
zuwandte, ihn in Sicherheit wiegte. Nichts von alledem. Er war jetzt
zweiundfünfzig Jahre alt, er sorgte für sich selbst und andere.
Sechzig Jahre seien kein Alter, hatte Sophia gesagt. Zartfühlend. Aber
wie war sie auf sechzig gekommen?
Die hätte ich kennenlernen sollen, als ich aus dem Krieg zurückkam,
dachte er. Damals war sie nicht einmal geboren â¦
Er ging ins Haus zurück, angetrunken, nur wenig gestärkt.
Das System? Es funktionierte nicht. AuÃerdem mochte er das Wort
nicht mehr, weil die Gegner es gebrauchten. Irgendwie erlaubte ihnen gerade
dieser Begriff all ihre Erbarmungslosigkeit und Blindheit. Kein System mehr!
Nicht eine Pose des Ãberblicks, sondern wirklicher Ãberblick aus der
Beobachtung der Einzelheiten. Navigation.
Was ihm blieb, war die Gewohnheit, jede Sache zu Ende zu bringen.
Auf dem festen Land war das schwer. »Was heiÃt das schon?« brummte er. »Leicht
hatte ich es nie!«
Siebzehntes Kapitel
Der Mann am Meer
Da hat ein Anwalt in Hobart Town einen Koch, einen
Sträfling, der ihm als Hausbediensteter zugeteilt ist. Der Anwalt ist als
Kämpfer für die Milderung der Strafjustiz bekannt, der Koch als Meister seines
Fachs, dessen Saucen dreimal so gut schmecken wie die seines Kollegen im Haus des
Gouverneurs. Der Anwalt geht auf Reisen und überläÃt dem Koch die Verwaltung
des Hauses. Als er wiederkommt, sind Teile der Einrichtung verkauft, Geldstücke
aus der Kassette verschwunden, und es fehlen Akten, deren Inhalt für einige
Leute sehr interessant ist. Der Koch behauptet, von nichts zu wissen. Der
Anwalt meldet ihn der Behörde zwecks Bestrafung, er wird überführt und zu
schwerer Zwangsarbeit im StraÃenbau verurteilt. Der Missetäter ist noch froh,
daà er nicht nach Port Arthur geschickt wird.
Jetzt tritt eine weitere Figur auf: der Koloniesekretär. Dieser ist
ein Anhänger von Ruhe und Ordnung und Verfechter des Prinzips der
Prinzipientreue. Was er sonst noch schätzt, ist gutes Essen. Von den
Fähigkeiten des Kochs hat er sich schon öfters überzeugen können. Er veranlaÃt
daher einen ihm ergebenen Justizbeamten, eine Ausnahme zu machen und den Koch
erneut einem privaten Arbeitsherrn zuzuteilen: ihm selbst.
Dem Anwalt gefällt das nicht. Er beschwert sich beim Gouverneur. Der
ordnet nach Prüfung des Falles und sorgfältiger Ãberlegung an, der Koch sei
gemäà dem Urteilsspruch zum StraÃenbau zu versetzen. Der Koloniesekretär fühlt
sich dadurch tief erniedrigt: Zwar seien Prinzipien grundsätzlich einzuhalten,
aber ein guter Koch sei nicht irgendein Sträfling, sondern von staatlichem
Interesse. Und er, der Koloniesekretär, sei nicht irgendein Bürger.
Es gibt da weiter den Privatsekretär des Gouverneurs. Er fühlt sich
als unbeugsamer Streiter gegen die Sklaverei. Weil er nach Lektüre
wissenschaftlicher Bücher an die natürliche Ãberlegenheit der weiÃen Rasse
glaubt, scheint ihm die Versklavung weiÃhäutiger Menschen von
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