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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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im
Gesundheitsdienst der Regierung, zuständig für ihr Wohngebiet. Der Bote wartet
die Rückkehr des abwesenden Dr. Coverdale nicht ab, sondern hinterlegt eine
Nachricht. Diese sieht der Arzt nicht – vielleicht hat der Wind den Zettel
weggeweht. Der Patient bleibt unbehandelt, stirbt. Die Familie beruft sich auf
die Aussage des Boten, er habe den Arzt persönlich benachrichtigt, sie verlangt
Dr. Coverdales Bestrafung und seine Entlassung aus dem Gesundheitsdienst.
Montagu setzt sich ebenfalls dafür ein, der Gouverneur entscheidet entsprechend.
Bald aber kommen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Boten auf. Siedler setzen
sich für den Arzt ein, der sich bisher nichts hat zuschulden kommen lassen. Der
Gouverneur spricht mit ihm, dann mit den Siedlern, will auch den Boten hören.
Montagu rät heftig davon ab, die Entscheidung rückgängig zu machen. Lady
Franklin hingegen hält den Arzt für unschuldig und lehnt es ab, diese Meinung
für sich zu behalten. Der Gouverneur findet Widersprüche in den Aussagen des
Boten. Er rehabilitiert den Arzt und setzt ihn wieder in die alte Stellung ein.
    Seit diesem Tage ist für Franklin die Lektüre des »Van Diemen’s Land
Chronicle« keine Freude mehr. Er wird dort unfähig und wankelmütig genannt. Er
wird bezichtigt, als erbärmlicher Schatten eines einstigen Polarhelden unter
dem Pantoffel seiner Frau zu stehen und stets das zu tun, was sie ihm
vorschreibe. Sie allein sei der Gouverneur. Ein Wort muß er erst im Lexikon
nachschlagen. Imbezil sei er: »schwach, insbesondere geistesschwach,
blödsinnig, närrisch«.
    Er vermutet, daß der Koloniesekretär mit dem Herausgeber der Zeitung
gemeinsame Sache macht. Montagu bestreitet dies. Wenig später wird er aber
Lügen gestraft, weil der Herausgeber selbst sich der prominenten Unterstützung
rühmt. Jetzt wechselt Montagu die Argumente aus und spricht von
Mißverständnissen. Er sei schon seit Jahren Mitherausgeber der Zeitung und habe
das Sir John längst gesagt. Im übrigen habe er aber auf die redaktionelle
Arbeit kaum Einfluß. Sir John hat von der Sache ein anderes Bild, er kennt
jetzt Montagu. Er enthebt ihn seines Postens.
    Montagu, bei offensichtlicher Lüge ertappt, verliert eben deshalb
jedes Schuldgefühl, jeden Rest von Selbstzweifel. Feierliche Gefühle
durchdringen ihn, Lüge wird Wahrheit. Jeder hört aus seinem Mund, die Lady übe
einen hexenähnlichen Einfluß auf den Gouverneur aus. Gleichzeitig wendet er
sich im Namen der Freundschaft an sie selbst und bittet sie, sich bei Sir John
für ihn einzusetzen. Er gibt sich so zerknirscht, daß sie es aus Mitleid
wirklich tut, denn sie glaubt an die Versöhnung aller Menschen bei guter Absicht.
Sie hat bei Sir John keinen Erfolg. Montagu muß sich damit begnügen, ihre
Intervention – gegen alle Logik – wiederum als Beweis dafür hinzustellen, daß
sie sich in die Politik einmischt. Dann verläßt er Van Diemen’s Land, reist
nach England und tut dort alles nur mögliche, um John Franklins Abberufung vom
Gouverneursposten zu erreichen: in London amtiert als neuer Kolonialminister
Lord Stanley, zu dem er irgendwelche Beziehungen hat.
    Â»Einzelheiten«, sagte John zu Sophia. »Sie kosten Zeit schon beim
Aufzählen, und die Summe kann bitter sein. Es liegt aber nicht an der Politik.
Ich selbst habe etwas falsch gemacht. Warum konnte ich die beiden nicht
rechtzeitig entlassen?
    Tasmans Tag 1841, der Tag der großen Regatta.
    John war fünf Jahre im Amt. Daß es bessere Gouverneure gab als ihn,
wußte er, denn er beherrschte diese Arbeit. Navigation war dabei wichtig, aber
sie allein reichte nicht aus.
    Ãœberall im Hafen wehten die blauen Fahnen mit der silbernen
Akazienblüte. Lady Jane hatte das Emblem vor ihrer Abreise nach Neuseeland
selbst entworfen. An der Stelle der First Lady durfte Sophia Cracroft den Gouverneur
begleiten, als er zum Ufer hinabging, um das Fest zu eröffnen.
    Er trug die blaue Kapitänsuniform, alle Knöpfe geschlossen. Auf dem
Kopf saß der zweigespitzte Hut und bedeckte sowohl die Glatze als auch die alte
Stirnnarbe – neuerdings galt in der Kolonie der Kopfschuß als Grund für Sir
Johns Langsamkeit. In der Hand hielt er einen Strauß roter Rosen, die
»englischen Rosen«. Schon mit den Symbolen hatte man als Gouverneur alle Hände
voll zu tun. Sophia hatte etwas

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