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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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übernahm eine Unterlehrerstelle an der neuen Schule. Die
kleine Ella weinte, weil sie ihr Pony dalassen mußte, Sophia weinte, weil sie
wußte, daß der Mann, den sie liebte, ungerecht behandelt und gekränkt wurde.
»Wenn ich die Königin wäre!« rief sie schluchzend. Jane lachte, fluchte und
organisierte mit Panoramablick den ganzen Umzug.
    Am Tag des Abschieds waren Strand und Hafen überfüllt wie sonst nur
bei der großen Regatta. John zählte dreihundert Reiter und weit über hundert
Kutschen. Siedlerfamilien kamen vollzählig von weither, um ihm zuzuwinken. Eine
beängstigende Zahl von Frauen und Männern drückte ihm die Hand, viele unter
Tränen. Ehemalige Sträflinge kamen, Seeleute, Kleinbauern, Schneiderlehrlinge,
Buschtrapper, mittendrin Dr. Coverdale und der massige Mr. Neat vom »True
Colonist«, der auf ihn zustürzte, seine Hand hielt und erklärte: »Wenn dieses
Land jemals den Weg zu Würde und guter Nachbarschaft findet, dann auf den
Spuren, die der noble und geduldige Geist Eurer Exzellenz hier hinterlassen
hat!« Neat hatte Schwitzhände. Das nahm aber seinen feinen, großen Worten
nichts von ihrer tröstlichen Wirkung. John legte die angefeuchtete Hand aufs
Herz, verneigte sich und sagte: »Ich wollte nur, daß jeder eine Chance hat.«

Achtzehntes Kapitel
    Erebus und Terror
    John Franklin sah unverwandt in das hochmütige Gesicht des
Außen- und Kolonialministers und verlangte eine Erläuterung: »Warum, Mylord,
glaubten Sie Mr. Montagus unbewiesene Geschichten und handelten danach, ohne
mich anzuhören?«
    Lord Stanley, der vierzehnte Earl von Derby, als Verwalter der
britischen Kolonien de facto einer der mächtigsten Herrscher der Erde, hob
wunderschön die rechte Augenbraue. Das nämlich beherrschte er überzeugend: er
konnte jede Augenbraue unabhängig von der anderen anheben.
    Â»Ich gebe Ihnen keine Erklärungen. Die bin ich allenfalls der
Königin oder dem Premierminister schuldig.« Er hielt es für unter seiner Würde,
eine gefaßte Meinung zu revidieren. Stanley erinnerte John an seinen Vater in
früher Zeit, jenen, der ihn aus Skegness zurückgeholt und in eine Kammer
gesperrt hatte. Mittlerweile sah er sich selbst fast als Vater dieses Vaters,
und der Lord hätte sein Sohn sein können, ein dummer, erbarmungsloser Sohn. Es
war eine der Begegnungen, bei denen beide Seiten meinten, ihre Würde nur auf
Kosten der anderen wahren zu können.
    In den glasigen Blick des Ministers hinein sagte John nun den Satz,
den er sich für diesen Fall überlegt hatte:
    Â»Es ist nicht meine Sache, das von Ihnen gewählte Verfahren zu
kritisieren. Ich möchte aber bemerken, daß es dazu in der bisherigen Geschichte
des Kolonialamts keine Parallele gibt.« Dann stand er auf, verneigte sich und
bat, sich zurückziehen zu dürfen. Dabei dachte er: Ich kenne dich, aber du
kennst mich nicht. Vielleicht kann ich erreichen, daß die Königin und der
Premierminister dir genau dieselben Fragen stellen.
    Nach der Unterredung wanderte John stundenlang durch die
Stadt. Er verspürte keine Neigung, die Niederlage hinzunehmen, und rüstete sich
mit allerhand treffenden Formulierungen. Ab und zu stolperte er über einen Prellstein
oder rammte jemand, der gerade ein Geschäft verließ. Um einer gewählten Sprache
willen fing er sich Kratzer und Beulen ein. Aber nur um diese in irgendeiner
Form an Lord Stanley weiterzugeben.
    Nach und nach wurde er ruhiger. Sein Ärger kam ihm klein vor in
diesem London. Es war ohnehin schwer, sich auf die eigene Person zu
konzentrieren, wenn es so viel zu sehen und zu lesen gab. Die Straße war ein
Geschrei aus lauter Buchstaben: hier jubelten sie für billige Lohnkutschen,
dort standen sie Spalier für reinen Gin oder ehrwürdigen Tabak, dazwischen
blähten sie sich auf Baumwolltüchern und schwankten an Holzstäben: die Anhänger
des allgemeinen Wahlrechts demonstrierten. John fand es schwer, gleichzeitig zu
sehen und zu lesen, zumal ihm ständig neue, komplizierte Wörter entgegenleuchteten.
Eines davon hieß »Daguerreotypie«. John trat heran und las das Kleingeschriebene:
»Lassen Sie sich zeichnen vom Griffel der Natur!« Wenig später, beim
Brillenschleifer, ein weiteres Schild: »Augengläser, das Geschenk der vorgerückten
Jahre!« Die Anpreisung schien Erfolg zu haben. Dicke

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