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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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kommt vom Sehen. Die Lehrer dürfen nicht nur
Lehrer, sondern müssen auch Entdecker sein. Ich hatte so einen.«
    Â»Mehr als die Schulfächer können wir als Gründer nicht
vorschreiben«, meinte Jane.
    Â»Nicht einmal die, wenn die Kirche anderer Meinung ist! Die Kirche
will Latein.«
    Â»Was willst denn du?«
    Â»Alles, bei dem der Schüler eine Chance hat: Mathematik, Zeichnen,
vor allem Naturbeobachtung.«
    Der Wolkenbruch nahm zu, das Feuer ging aus. John schloß den
Zelteingang. Jane legte ihren Kopf in die Mulde zwischen Hals und Schulter. »Du
solltest das alles Dr. Arnold in Rugby schreiben. Vielleicht weiß er einen
guten Schulrektor.«
    Die Sträflinge bewährten sich, vor allem Gavigan, der
Älteste von ihnen, ein dicker und starker Mann mit Augen, die rot waren vor
Wachsamkeit und Geistesgegenwart. Überlegt und verläßlich war auch French, der
so aussah, als habe man zwei mittelgroße Männer übereinandergestellt: er maß
sieben Fuß und zwei Zoll. Bei Flußdurchquerungen vertraute er auf seine Größe
und geriet dadurch leicht ins Tiefe, doch er verlor nie den Grund unter den
Füßen. Die anderen zehn waren jederzeit so eifrig, wie nur Sträflinge sein
konnten, wenn sie für einige Monate ihre Würde zu wahren hofften.
    In einem Dickicht verstauchte sich die Lady den Fuß und mußte einige
Zeit in einem Holzgestell getragen werden. Es regnete weiter, die Flüsse
schwollen an. Die Zeit war knapp: ein Schoner wartete seit Wochen auf sie in
der Mündung des Gordon, sie waren überfällig. Ein Fluß schließlich, der
Franklin, war ohne ein Boot nicht zu durchqueren. Wenn das Schiff sie im Stich
ließ, waren sie verloren, denn inzwischen hatten sich auch die Bäche, die sie
noch gut überwunden hatten, in reißende Ströme verwandelt. Es gab kein Zurück.
»Einer muß hinüber und Nachricht geben«, sagte John.
    Â»Ich trage Gavigan durch den Fluß«, sagte French nach langem
Grübeln, »ich reiche bis auf den Grund, und sein Gewicht gibt mir Stand.« Er
nahm den schweren Mann auf die Schultern und watete los. Zwar wurden sie doch
umgerissen und verschwanden in den Stromschnellen, aber sie kamen beide lebend
hinüber und riefen durch die hohlen Hände: »Kuuii«, Das war tasmanische
Eingeborenensprache und hieß Hurra. Sie legten die fünfzehn Meilen bis zum
Gordon in weniger als vier Stunden zurück, trafen genau auf die Flußbiegung, wo
eben der Schoner die Anker lichten wollte, konnten ihn noch aufhalten, ließen
sich einige Lebensmittel geben, waren fünf Stunden später wieder am Franklin
und riefen: »Kuuii«.
    Nach zwei Tagen hatte man ein gutes Auslegerboot fertig, die
Gesellschaft setzte trocken über den Fluß. Die Reise endete glücklich. Den
beiden Rettern erließ John den Rest ihrer Strafe. Kaum waren sie freie Männer,
heirateten sie. Denn auch das war etwas, worin sich Sträflinge von Bürgern
unterschieden: Sträflinge durften es nicht.
    Sherard konnte nicht mehr zum Ufer hinuntergehen, um
Gefahren zu bannen. Er mußte sich ans Krankenlager gewöhnen und tat es ohne
Widerstand. 1843 war unwiderruflich Sherards Sterbejahr. Mehr und mehr sah er
wirklich wie ein Adler aus, und blaß wie vergilbtes Papier.
    Auf der Reede von Hobart Town erschien ein Schiff und setzte einen
Mann an Land, der sich fortwährend wunderte. Er ließ sich den Weg zum
Gouverneurshaus zeigen und sagte bei jeder Auskunft: »Befremdlich,
befremdlich!« Er wünschte Sir John zu sprechen, wurde endlich vorgelassen und
nannte seinen Namen: »Eardley Eardley«, sagte er und schien eine Reaktion zu erwarten.
John nickte nur höflich und sah ihn weiter an. »Eardley Eardley«, raunte der
andere nochmals. John dankte für die freundlichen Wiederholungen, bat den Mann
aber, weitere zu unterlassen. »Ich heiße so!« entgegnete der andere. »Ich bin
Ihr Nachfolger als Gouverneur von Van Diemen’s Land. Hier das Schreiben von
Lord Stanley.« Er hatte wohl erwartet, daß John ihn nun sofort mit Pomp allen
Beamten vorstellen würde, aber der lachte nur schallend und wollte gar nicht wieder
aufhören. Schließlich zuckte er die Achseln: »Es muß Mr. Montagu gelungen sein,
mir alle Schande zuzuschieben. Wie macht man das nur?«
    Dann ging er ans Kofferpacken.
    Sherard blieb in Tasmanien, um zu sterben.
    Hepburn

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