Die Entdeckung der Langsamkeit
froh, war es Mitleid oder WiÃbegier. Was in seinem Kopf vorging,
war nicht quälend durch Fremdheit. Es war keine Schlacht, eher wie eine
Wasserfläche, vom Wind bewegt, und die Gedanken schäumten auf wie Grundseen in
Küstennähe.
Alle sind weg, dachte er. Mary Rose, Simmonds, Mockridge, Matthew. Auch Eleanor hat mich
verlassen, ich bin ihr nur zuvorgekommen. Und Sherard kehrt zurück,
fürchterlich geschlagen, ein Sträfling, der meinen Namen trägt, von mir
verwaltet, von mir bestraft.
John fragte sich plötzlich, ob er ein guter Mensch sei. Das war nur
eine von vielen unbeantworteten Fragen, die dahertrieben und anschlugen, es war
wie die Sandarbeit des Meeres. John wollte jede Frage zulassen und vertrauensvoll
erleiden, was sie anrichtete. Gut bin ich nie gewesen, dachte er, gut macht
auch Langsamkeit nicht. Und oft hätte ich auch viel böser sein müssen.
Da reichte ihm Sherard, ohne den Blick zu wenden, das Brot herüber,
damit er sich einen Bissen abbräche. Der Loundsche Vorrat für die Hungersnot,
der »Franklin-Hafen«, das Kühlhaus, die Speisung der Fünftausend. John hatte
wieder alles gegenwärtig. Er nahm und kaute unter Tränen. Wie ein Krokodil,
dachte er. Darüber muÃte er zum Ãberfluà auch noch lachen. Weit weg waren Maconochie,
Montagu und die tasmanische Politik.
Sherard Lound saà friedlich und überwachte den Horizont. Ein
Uferstein, nicht mehr zu erschüttern. Er hat mein Ziel erreicht, dachte John.
Er legte die Hände vor die Augen und blickte aufmerksam ins Dunkel.
Als er sich wieder umsah, wuÃte er nicht, wieviel Zeit vergangen war. Alles war
so deutlich jetzt, Kinder, Boote, Schaubuden. Die Gesichter, die zu ihm
hinsahen, schienen freundlich. Sehr wach fühlte er sich, lebendig, dankbar für
sein Leben, kräftig in Kopf und Gliedern. Seltsam jung.
Forster meldete sich:
»Exzellenz, die Preisverleihung! Die Sieger sind bereits â« John
lachte nur. »Die Sieger können warten!«
Sherard wohnte jetzt im Gouverneurshaus. Niemand wuÃte, ob
und mit wieviel Verstand er die Dinge noch wahrnahm. Tagsüber saà er immer an
derselben Uferstelle mit seltsam wachem Blick. »Er lebt keine sechs Wochen
mehr«, vermutete Dr. Coverdale, der ihn auf Anweisung des Gouverneurs
untersucht hatte, »die Krankheit ist nicht heilbar. Aber er scheint zufriedener
als wir.« »Vielleicht hat er die Gegenwart gefunden«, murmelte John, »jedenfalls
stirbt er als Entdecker.« Dr. Coverdale musterte ihn erstaunt.
Daà John sich in Sophia verliebt hatte, gestand er nur
sich selbst ein, nicht ihr. Er ging an ihrer rechten Seite, ohne Degen, durch
den Park und sah vom Fenster aus ihren Bewegungen zu, wenn sie allein ging. Er
trank mit ihr Tee, rührte endlos in seiner Tasse und erzählte ihr von William
Westall und von den Küstenlinien der Arktis. Mehr wollte er sich nicht
erlauben. Wenn er die Liebe wiedergefunden hatte, dann konnte er sie auch
dorthin verlegen, wo sie hingehörte. Alles, was er tat, hatte seine Ehre darin,
daà es entweder bereits lange dauerte oder auf lange Dauer angelegt war. Er
glaubte nicht, daà Ausnahmen von dieser Regel ihm Glück bringen konnten. Als
Sophia eines Abends mit ihm allein im Salon stand und ihn plötzlich umarmte,
strich er ihr übers Haar und rekapitulierte eilends die gesamte
Geschäftsordnung des Legislativrats, um ganz ruhig zu bleiben. Der Schluà jedes
Paragraphen lautete: »Deine Frau heiÃt Jane!« Dann küÃte er sie auf den Scheitel.
Das war aber auch alles.
»Ich werde mit Sicherheit bald abberufen, also kann ich
alle Taktik vergessen.« John Franklin brauchte keine Rücksicht mehr auf die
Meinung der Stiefelträger und ihrer Zeitungen zu nehmen. Er wollte die
verbleibende Zeit nutzen, um dauerhafte Spuren zu hinterlassen. Die gesamte
Küste der Insel wurde neu kartographiert, die Seekarten berichtigt. Die
Walfänger und ortsansässigen Handelsreeder wurden von allen Hafengebühren
befreit. Die Zahl der Schiffe wuchs daraufhin rapide. »Etwas mehr Seeleute
werden diesem Land guttun!« sagte John öffentlich. Gegen die wütenden Proteste
einiger GroÃgrundbesitzer tat er alles, um der Insel den Charakter einer
Strafkolonie zu nehmen. Er beantragte in London die Umbenennung: statt Van
Diemenâs Land sollte sie künftig Tasmanien heiÃen, denn die Kaufleute,
Handwerker und
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