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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Haut und den Propriozeptoren der Muskeln sowie von den Sinnesorganen des Geschmacks, des Geruchs, des Gehörs, des Sehens und des Gleichgewichts kommen).
       Wenn wir diese Signale festgehalten haben, versetzen wir unseren Menschen in völlige Isolation — zum Beispiel in einem dunklen Raum in eine Wanne mit lauwarmem Wasser —, setzen an seinen Augäpfeln in geeigneter Weise Elektroden an, führen sie in seine Ohren ein, befestigen sie an seiner Haut usw. Kurz, wir verbinden sämtliche Nerven dieses Individuums mit unserem Magnetophon, setzen es in Gang und schicken auf diese Weise die zuvor gemachten Aufzeichnungen in seine Nerven.
       Das ist nicht ganz so leicht, wie ich es dargestellt habe. Wie leicht oder wie schwer es ist, mit den einzelnen Nerven in der obigen Weise zu verfahren, hängt davon ab, welche Bedeutung die topographische Lokalisation der Reize innerhalb des Nervensystems hat. Besondere Schwierigkeiten bereitet der Sehnerv. Das Riechhirn ist, zumindest beim Menschen, nahezu dimensionslos: nehmen wir drei Gerüche gleichzeitig wahr, so ist es sehr schwer zu sagen, welcher woher kommt. Die Lokalisierung innerhalb des Feldes der optischen Wahrnehmung ist dagegen weitgehend gesichert; eine erste Organisation der Reize erfolgt bereits in der Netzhaut, und der Sehnerv ist wie ein vieladriges Kabel beschaffen, dessen einzelne Adern ein Bündel von Impulsen zu einem bestimmten Teil des kortikalen Sehzentrums leiten. Es ist also ziemlich schwierig, die aufgezeichneten Impulse innerhalb dieses Nervs zu »plazieren« (genau wie die Aufzeichnung selbst). Ähnliche, jedoch geringere Schwierigkeiten bereitet auch der Gehörnerv. Es sind verschiedene technische Verfahren denkbar, um das Problem zu bewältigen. Am einfachsten scheint es zu sein, Reize vom Nacken aus in den Kortex zu leiten, das heißt direkt in das Sehzentrum; da von einer chirurgischen Freilegung der Rinde natürlich keine Rede sein kann und sie sich durch die Haut und den Schädelknochen hindurch nicht mit hinreichender Genauigkeit der Lokalisierung reizen läßt, müßte man die elektrischen Impulse in irgendwelche anderen Impulse transponieren (zum Beispiel Strahlungsbündel, wie sie der Maser erzeugt, die mit ihrer ultrakurzen Wellenlänge nicht dicker sind als der Durchmesser eines Neurons). Derartige Wellen können, wenn sie nur genügend gebündelt und schwach genug sind, Reize auslösen, ohne das Hirngewebe im geringsten zu beschädigen. Aber das ist ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen, und auch die Resultate sind durchaus nicht sicher.
       Man könnte jedoch einen speziellen »Vorsatz für den Augapfel« bauen, der gewissermaßen ein »Gegenauge« darstellt, ein optisch gleichwertiges System, das mit dem natürlichen Auge durch die Pupillenöffnung »verbunden ist« (selbstverständlich nicht direkt — vor der Pupille liegt die Vorkammer des Auges und die Hornhaut, aber beide sind durchsichtig). Auge und »Gegenauge« bilden ein einheitliches System derart, daß das »Gegenauge« der Sender und das Auge der Empfänger ist. Wenn nun der Mensch (unter normalen Bedingungen) nicht direkt mit den eigenen Augen, sondern durch das »Gegenauge« blickt, dann sieht er alles in ganz normaler Weise, nur daß er auf der Nase so etwas wie eine (ein wenig komplizierte) Brille trägt, und diese »Brille« ist nicht bloß ein lichtdurchlässiges »Einschiebsel« zwischen seinem Auge und der Welt, sondern zugleich ein »Punktier«apparat, der das gesehene Bild in so viele Punktelemente zerlegt, wie die Netzhaut Zapfen und Stäbchen zählt. Die Elemente des Sehfeldes des »Gegenauges« sind (zum Beispiel durch ein Kabel) an einen Aufzeichnungsapparat angeschlossen. So sammeln wir auf geschickte Weise die gleiche Information, die zur Netzhaut gelangt, indem wir uns nicht hinter ihr, also hinter dem Augapfel, in den Sehnerv, sondern vor ihr in das »informationssammelnde Vorsatzgerät« einschalten. Wollen wir später die Reaktion umkehren, dann setzen wir dem Menschen wieder die »Brille« auf, nun aber bei Dunkelheit, und schicken die in dem Apparat festgehaltene Aufzeichnung auf dem Weg vom Apparat über das »Gegenauge«, das Auge und den Sehnerv in sein Gehirn. Das ist beileibe nicht die beste Lösung, doch zumindest ist ihre technische Durchführung denkbar. Man beachte bitte, daß bei dieser Lösung etwas ganz anderes geschieht, als wenn man etwa mit Hilfe einer der Pupille vorgeschalteten Kamera einen Film oder Mikrofilm ins

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