Die Entdeckung der Virtualität.
vorgegaukeltes sonniges Klima abschirmte. Ich begriff selber nicht, wohin ich ging, möglichst lautlos den Boden berührend. Ja: ich verbarg bereits die eigene Anwesenheit. Dieses Buckeln und Ducken, die raschen Seitenblicke, das Innehalten und Horchen, dies alles gab mir der Instinkt ein, noch ehe ich irgendeinen Entschluß gefaßt hatte. Aber ich spürte auch bis ins Mark: mir war anzusehen, was ich mit ansah, und dies konnte nicht unbestraft bleiben. Ich ging durch den Korridor des sechsten oder des fünften Stockwerks; zu Trottelreiner konnte ich nicht zurückkehren; die Hilfe, die er brauchte, hätte ich ihm sowieso nicht geben können. Fieberhaft erwog ich mehrere Dinge zugleich, vor allem aber eines: wird das Mittel zu wirken aufhören? Werde ich mich wieder in Arkadien vorfinden? Merkwürdig - diese Aussicht erregte in mir kein anderes Gefühl als nur Ekel und Angst, so, als wollte ich lieber mit vollem Wissen in einem Berg Müll erfrieren, statt die Linderung Trugbildern zu verdanken. Den einen Seitengang konnte ich nicht betreten; den Weg verlegte der Körper eines Greises, der zum Gehen nicht mehr die Kraft hatte, so daß seine zitternden Beine die Schritte nur andeuteten, während er mir mit leisem Röcheln aus der Agonie heraus gesellig zulächelte. Also rasch in den anderen Seitengang — bis vor die Mattglastür eines Büros. Drinnen war es völlig still. Ich trat ein, die Pendeltür schaukelte, ich stand in einem menschenleeren Schreibmaschinensaal. Die Tür am anderen Ende stand einen Spalt weit offen. Ich spähte in ein helles großes Zimmer und wollte eben davonschleichen, weil dort jemand saß, aber da meldete sich eine wohlbekannte Stimme:
»Treten Sie bitte ein, Tichy.«
Ich trat also ein. Ich wunderte mich gar nicht sonderlich über die Anrede, die so klang, als würde ich erwartet; ich nahm auch ruhig hin, daß am Schreibtisch der ehrenwerte George Symington saß: er trug einen grauen Flanellanzug, hatte ein flaumiges Seidentuch um den Hals, einen dünnen Zigarillo im Mund und schwarze Brillengläser vor den Augen und schien mich halb mit Herablassung, halb mit Bedauern zu mustern.
»Nehmen Sie Platz« — sagte Symington. »Das wird eine Weile dauern.«
Ich setzte mich. Dieses Zimmer mit unversehrten Fensterscheiben bildete eine Oase von Reinlichkeit und Wärme inmitten des allgemeinen Verfalls. Keine Spur von eisigem Zugwind oder angewehtem Schnee; ein Tablett, dampfender schwarzer Kaffee, ein Aschenbecher, ein Diktiergerät ... Und über Symingtons Kopf hinweg sah ich ein paar Farbfotos an der Wand hängen: weibliche Akte. Unversehens und einigermaßen unsinnig knüpfte sich daran der Gedanke, daß auf den abgebildeten Körpern keine Flechte wuchere.
»Das haben Sie nun davon!« — sagte Symington nachdrücklich. »Und dabei können Sie sich nicht beklagen. Die beste Pflegerin, der einzige Sachsichtige im ganzen Staat, alle haben Ihnen zu helfen versucht. Sie aber? Sie wollten auf eigene Faust nach der ›Wahrheit‹ stochern!«
»Ich?« — begann ich; seine Worte hatten mich völlig
verwirrt. Aber ehe ich mich fassen und auf diese Worte einstellen konnte, fuhr er auf mich los:
»Bitte nur nicht lügen! Dazu ist es zu spät. Sie sind sich wohl unerhört pfiffig vorgekommen, wenn Sie so mit Ihren Klagen hausieren gingen, mit dem Verdacht einer ›Halluzination‹! ›Kanal‹, ›Hotelratten‹, ›Aufsitzen‹, ›Satteln‹! Mit solchen plumpen Finten wollten Sie sich Behelfen? Die schienen Ihnen gut genug? So dumm kann wirklich nur ein Tautropf sein!«
Ich hörte ihm zu und vergaß den Mund zu schließen. Blitzschnell begriff ich: jede Gegendarstellung mußte vergeblich sein, weil mir Symington sowieso nicht glaubte. In meiner echten Zwangsvorstellung sah er ein zielgerichtetes Manöver! Auch mit jenem Gespräch, mit jener Einführung in die Geheimnisse der Firma »Procrustics Inc.« hatte er also nichts anderes bezweckt, als mich auszuhorchen! Deshalb gebrauchte er die Worte, die mich damals so gräßlich überrascht hatten; vielleicht betrachtete er sie als geheime Erkennungszeichen — für wen? Für eine Verschwörung gegen die Chemie? Meine private Angst vor der Halluzination erschien ihm als taktische Finte! Ja, es war wirklich zu spät dazu, ihm dies alles zu erklären, zumal jetzt, da die Karten aufgedeckt lagen.
»Sie haben hier auf mich gewartet?« — fragte ich.
»Versteht sich. Mitsamt Ihrem Tatendrang
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