Die Entdeckung der Virtualität.
äußeren, nicht aber die inneren Zustände, da eine und dieselbe sinnliche Feststellung (daß es stürmt, daß wir auf der Pyramide sitzen), gleichgültig, ob künstlich oder natürlich hervorgerufen, bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Gefühle, Emotionen und Reaktionen bewirkt.
Möglich wäre auch eine »zentrale Phantomatik«, das heißt eine unmittelbare Reizung gewisser Hirnzentren, die angenehme Gefühle oder Lustempfindungen hervorruft. Diese Zentren befinden sich im Mittelhirn und im Hirnstamm. Nicht weit von ihnen sitzen auch die Zentren der Aggression und der Angst (Angriffs- und Fluchtreaktionen). Die Untersuchung von Olds und Millner gehört bereits zu den klassischen Arbeiten auf diesem Gebiet. Dabei wurden einer Ratte, die sich in einem Käfig befand, dauerhaft Elektroden in das Gehirn (das Zwischenhirn) implantiert, und sie konnte diese Stelle elektrisch reizen, indem sie mit der Pfote eine Taste drückte, durch die der Kontakt geschlossen wurde. Manche Tiere hörten 24 Stunden lang nicht auf, sich zu reizen, und zwar mit einer Häufigkeit von bis zu 8000mal in der Stunde, also rund zweimal je Sekunde. Wurde die Elektrode etwas tiefer eingeführt, dann konnte man beobachten, daß Ratten, die sich einmal gereizt hatten, es nie wieder taten. Man kann annehmen, daß in dieser Hirnregion zwei entgegengesetzte nervöse Mechanismen sitzen, die H. Magoun als Mechanismen von »Lohn« und »Strafe« bezeichnet hat. »Befinden sich«, so fragt er, »anders gesagt, Himmel und Hölle im Gehirn des Tieres?«
Ähnliche Verhältnisse entdeckten Jasper und Jacobsen beim Gehirn des Menschen; der Untersuchte empfand, je nachdem, welche Stelle gereizt wurde, Unruhe und Angst wie vor einem epileptischen Anfall oder auch angenehme Gefühle. Eine »zentrale Phantomatik«, die sich auf diese anatomisch-physiologischen Daten stützte, wäre so etwas wie »zentrale Onanie«, auch wenn die bei der Reizung der Hippocampusgegend empfundenen Gefühle nicht mit einer sexuellen Entladung (Orgasmus) identisch sind. Man ist natürlich geneigt, derartige, mit elektrischen Methoden hervorgerufene »Glücksanfälle« zu verurteilen, so wie man ja auch die gewöhnliche Selbstbefriedigung verurteilt. Die Kybernetiker — wie der bereits erwähnte Stafford Beer — sind sich auch im klaren darüber, daß in einen komplexen Homöostaten ein Mechanismus von Lohn und Strafe eingebaut werden muß. Der einfache Homöostat (wie ihn Ashby aus vier Elementen konstruiert hat) bedarf eines solchen speziellen Subsystems nicht; einer solchen »algedonischen Kontrolle« bedürfen nur hochkomplizierte Systeme mit einer Vielzahl von Gleichgewichtszuständen und einer Vielzahl von möglichen, sich selbst programmierenden Handlungsweisen und -zielen.
Nun werden seit jeher und auch heute noch von den Menschen Mittel benützt, die »angenehme Zustände« hervorrufen, darunter auch Gifte (Alkaloide, Alkohole usw.); man kann also nicht ausschließen, daß in Zukunft eine »zentrale Phantomatik« entsteht, nur weil eine solche »Technik der erleichterten Lust« moralische Empörung weckt. Auf jeden Fall wird man aber diese Variante der Phantomatik nicht als »Kunst« ansehen können, genausowenig wie die Einnahme von Narkotika oder das Trinken von Alkohol. Anders verhält es sich mit der peripheren Phantomatik, die unter gewissen Umständen zur Kunst werden könnte — aber auch zur Sphäre jedes erdenklichen Mißbrauchs.
Grenzen der Phantomatik
Durch die periphere Phantomatik wird der Mensch in eine Welt von Erlebnissen geführt, deren Nicht authentizität unmöglich aufzudecken ist. Wir haben gesagt, keine Zivilisation könne sich »hunderprozentig phantomatisieren«, denn das würde für sie Selbstmord bedeuten. Mit dem gleichen Argument kann man aber auch das Fernsehen ad absurdum führen. Eine Zivilisation, die sich in zwei Teile aufspalten würde — diejenigen, die das Programm ausstrahlen, und diejenigen, die es am Fernseher empfangen — könnte genausowenig existieren. Die Phantomatik ist somit möglich, ja sogar wahrscheinlich — als eine Unterhaltungstechnik, nicht aber als ein Weg, bei dessen Beschreiten die Gesellschaft sich so weit von der realen Welt löst, daß sie sich in der schon erwähnten Weise »abkapselt«.
Die Phantomatik ist gewissermaßen der Kulminationspunkt, auf den zahlreiche Unterhaltungstechniken der Gegenwart hinzielen, etwa der »Rummelplatz«, das »Zauberkabinett«, die
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