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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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diese Sprache nicht zuvor beherrschte. Und er wird gleichfalls in dieser ›bonapartistischen‹ Situation seine eigenen Charaktermerkmale zu erkennen geben und nicht die Napoleons, wie wir ihn als historische Gestalt kennen. Er wird höchstens versuchen, Napoleon zu sp ielen, also ihn mehr oder weniger gut simulieren. Und das gilt auch für das Krokodil... Die Phantomatik kann es einrichten, daß ein Schreiberling, wie schon gesagt, den Nobelpreis erhält, sie kann ihm die ganze Welt, natürlich in der Vision, zu Füßen legen, alle werden ihn wegen seiner wundervollen Gedichte rühmen, doch er wird auch während der Vision diese Gedichte nicht zustande bringen, es sei denn, er ist damit einverstanden, daß sie ihm vorher auf den Schreibtisch geschmuggelt werden...
       Sagen wir es so: Je ferner eine Gestalt, die jemand verkörpern möchte, in ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrer historischen Zeit seinem eigenen Charakter und seiner eigenen Zeit liegt, um so konventionellere, naivere, ja primitivere Formen wird sein Verhalten und die ganze Handlung der Vision annehmen. Denn um sich zum König krönen zu lassen oder die päpstlichen Gesandten zu empfangen, muß man das ganze höfische Zeremoniell kennen; sicherlich können die von dem Phantomatisator geschaffenen Personen so tun, als würden sie das idiotische Verhalten des in Hermelin gekleideten Angestellten der Landesbank nicht sehen, und vielleicht wird deshalb auch seine Befriedigung nicht durch seine Entgleisungen geschmälert, aber gerade daran sieht man auch, wie trivial und lächerlich die ganze Situation ist. Das ist auch der Grund, warum es der Phantomatik sehr schwerfallen dürfte, zur vollwertigen Kunst zu werden. Erstens kann man für sie keine Drehbücher schreiben, sondern höchstens allgemeine Situationsskizzen; zweitens setzt die Kunst Charaktere voraus, das heißt Personen, die solche darstellen können, während der Besucher des Phantomaten seine eigene Persönlichkeit mitbringt und nicht imstande sein wird, die vom Drehbuch geforderten Rollen zu spielen, weil er kein professioneller Schauspieler ist. Deshalb wird die Phantomatik wohl vor allem ein Unterhaltungsmedium sein. Vielleicht wird sie auch so etwas wie ein »Super-Touropa«, ein »SuperCook's« für Reisen im möglichen und unmöglichen Kosmos, von dem weiten Bereich der durchaus zu schätzenden Anwendungen abgesehen, die jedoch weder mit Kunst noch mit Unterhaltung etwas zu tun haben.
       Man wird mit ihrer Hilfe Trainings- und Schulungssituationen allerersten Ranges schaffen können; man wird sich deshalb ihrer Mittel bei der Ausbildung für jegliche Berufe bedienen können, sei es der des Arztes, des Piloten des Ingenieurs usw. Die Gefahr einer Bruchlandung, eines Unglücksfalles auf dem Operationstisch oder einer Katastrophe aufgrund von schlecht berechneten Konstruktionen ist dabei ausgeschlossen. Zweitens ermöglicht sie die Untersuchung von psychischen Reaktionen und wird deshalb für die Auslese von Kandidaten für die Astronautik und dergleichen besonders wertvoll sein. Durch die Maskierung der phantomatischen Vision wird man Bedingungen herstellen können, unter denen der Untersuchte nicht wissen wird, ob er tatsächlich zum Mond fliegt oder ob das nur eine Täuschung ist. Diese Maskierung ist nötig, weil man ja seine authentischen Reaktionen kennen muß, und zwar angesichts einer echten und nicht bloß fingierten Havarie, bei der es jedem leichtfällt, »persönlichen Mut« zu demonstrieren.
       »Phantomatische Tests« werden es dem Psychologen gestatten, in einem sehr weiten Bereich die Reaktionen der Menschen besser zu erforschen, etwa den Entstehungsmechanismus einer Panik und dergleichen zu untersuchen. Sie werden eine rasche Vorauslese der Bewerber für verschiedene Studien und Berufe ermöglichen. Die Phantomatik kann sich als unersetzlich für all jene erweisen, die durch die Bedingungen (in einer arktischen Forschungsstation, bei einem kosmischen Flug, während des Aufenthalts auf einer außerirdischen Station oder gar bei einer Forschungsreise zu den Sternen) gezwungen sind, lange in Einsamkeit und auf relativ engem, geschlossenem Raum auszuharren. Dank ihnen können die langen Jahre der Reise zu irgendeinem Stern für die Mitglieder der Besatzung ausgefüllt sein mit normalen Beschäftigungen, denen sie sich auf der Erde hingeben würden, es können Jahre sein, in denen sie die Länder und Meere der Erde bereisen, ja selbst Jahre des Lernens (denn es
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