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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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»Geisterbahn«; ein einziger großer und primitiver Pseudophantomat ist schließlich das »Disneyland«. Außer solchen Techniken, die das Gesetz zuläßt, gibt es illegale (wie sie Jean Genet in seinem Balkon darstellt, wo ein Bordell der Schauplatz einer »Pseudophantomatisierung« ist). Die Phantomatik hat gewisse Anlagen, sich zur Kunst zu entwickeln, zumindest hat es auf den ersten Blick den Anschein. Es könnte deshalb in ihr zu einer ähnlichen Aufspaltung kommen wie beim Film, aber auch bei anderen Bereichen der Kunst (in eine künstlerisch wertvolle Produktion und in wertlosen Schund).
       Von der Phantomatik können allerdings ungleich größere Gefahren ausgehen als von dem heruntergekommenen, zuweilen sogar die Grenzen der gesellschaftlichen Normen überschreitenden Film (etwa vom pornografischen Film). Aufgrund ihrer besonderen Verhältnisse vermittelt nämlich die Phantomatik ein Erlebnis, dessen »Privatheit« nur noch der Traum erreicht. Sie ist eine Technik der augenblicklichen Wunsch erfüllung, die sich leicht zu Handlungen mißbrauchen läßt, die dem, was gesellschaftlich erlaubt ist, zuwiderlaufen. Nun könnte jemand behaupten, eine eventuelle »phantomatische Ausschweifung« könne für die Gesellschaft nicht bedrohlich sein, sondern sei gerade so etwas wie ein »Aderlaß«, bei dem böses Blut abgelassen wird. Es schade ja niemandem, wenn in phantomatischen Visionen »dem Nächsten Böses angetan wird«. Wird denn jemand für den greulichen Inhalt seiner Träume zur Verantwortung gezogen? Ist es nicht besser, wenn jemand seinen Feind im Phantomaten niederschlägt oder sogar ermordet, als wenn er es in Wirklichkeit tut? Daß er (im Phantomaten) »seines Nächsten Weib begehrt«, was (in Wirklichkeit) leicht Unglück in ein friedliches Ehepaar hineintragen kann? Kann nicht, mit einem Wort, die Phantomatik, ohne irgend jemand Abbruch zu tun, all die dunklen Kräfte absorbieren, die im Menschen verborgen sind?
       Dieser Auffassung läßt sich eine andere entgegensetzen. Verbrecherische Taten in der Vision, so wird der Gegner erklären, können nur dazu ermuntern, sie in der realen Welt zu wiederholen. Wir wissen ja, daß den Menschen am stärksten nach dem verlangt, was für ihn unerreichbar ist. Auf Schritt und Tritt begegnen wir dieser »Perversität«. Sie entbehrt jeder rationalen Grundlage. Was bewegt denn eigentlich den Kunstliebhaber, der bereit ist, alles für einen echten van Gogh herzugeben, den man nur mit Hilfe einer Armee von Experten von einer perfekten Kopie unterscheiden kann? Was er will, ist »Echtheit«, »Authentizität«. Die Nichtauthentizität der phantomatischen Erlebnisse macht sie also als »Puffer« unbrauchbar; sie werden eher eine Schule, ein Übungsfeld für die Vervollkommnung von gesellschaftlich verbotenen Handlungen sein, statt diese zu »absorbieren«. Macht man dagegen die phantomatische Vision ununterscheidbar von der Wirklichkeit, so führt das zu unabsehbaren Konsequenzen. Ein Mörder wird dann zu seiner Verteidigung anführen, er sei zutiefst überzeugt, daß die Tat »nur eine phantomatische Vision« gewesen sei. Außerdem wird sich in einem Leben, wo Wahrheit und Fiktion ununterscheidbar geworden sind, in einer Welt, wo Echtes und Trügerisches subjektiv nicht mehr zu trennen sind, manch einer derart verirren, daß er den Ausgang aus diesem Labyrinth nicht mehr findet. Da hätten wir aber gewaltige »Generatoren von Frustration« und psychischen Zusammenbrüchen!
       Es sprechen also gewichtige Gründe dagegen, die Phantomatik — ähnlich wie den Traum — als eine Welt völliger Handlungsfreiheit anzuerkennen, in der den Tollheiten nihilistischer Zügellosigkeit nicht durch das Gewissen, sondern lediglich durch die Phantasie Grenzen gezogen wären. Es ist gewiß denkbar, daß illegale Phantomaten entstehen werden. Das ist jedoch eher ein polizeiliches als ein kybernetisches Problem. Die Kybernetiker könnte man auffordern, in die Apparatur so etwas wie eine »Zensur« (eine Analogie der Freudschen »Traumzensur«) einzubauen, die sofort, wenn der Phantomatisierte aggressive, sadistische usw. Tendenzen erkennen läßt, den Fortgang der Vision unterbricht.
       Es scheint, als sei das ein rein technisches Problem. Für den, der einen Phantomaten bauen kann, dürfte es nicht allzu schwer sein, derartige Beschränkungen einzubauen. Hier stoßen wir jedoch auf zwei ganz unerwartete Konsequenzen, die sich aus den geforderten Beschränkungen

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